Gesund und lustvoll essen Magazin ARTISET 1-2024

Das Magazin der Dienstleister für Menschen mit Unterstützungsbedarf ARTISET Im Fokus Gesund und lustvoll essen Ausgabe 01/02 I 2024 Die Gesellschaft trägt Verantwortung für die psychische Gesundheit der Jungen Insos-Geschäftsführerin Rahel Stuker setzt auf den partnerschaftlichen Austausch Dächer von sozialen Institutionen eignen sich sehr gut zur Solarstromproduktion

Leiter/in in Facility Management und Maintenance (HFP) Die Weiche für die Zukunft schon gestellt? Jetzt weiterbilden und weiterkommen! Bereichsleiter/in Hotellerie- Hauswirtschaft (BP) Bereit für die Führung des Teams? Jetzt weiterbilden und Talent entdecken! Info- Anlass 6. Juni Info- Anlass 19. März Bei uns finden Sie das passende Personal! sozjobs.ch Der Stellenmarkt für Sozial- und Gesundheitsberufe Sozjobs_Inserat_2022_Curaviva_halbseitig_180x130.indd 1 22.06.22 16:37

ARTISET 01/02 I 2024 3 Editorial «Die Mahlzeiten sowie die Art und Weise, wie sie gestaltet werden, sind ein wichtiges Instrument, um die Lebensqualität der Bewohnerinnen und Bewohner zu fördern» Elisabeth Seifert, Chefredaktorin Liebe Leserin, lieber Leser Essen spielt eine grosse Rolle in unserem Alltag, ist wichtig für unser physisches und psychisches Wohlbefinden. Ausgewogen zusammengestellte und sorgfältig zubereitete Mahlzeiten nähren uns und sind ganz besonders dann ein Genuss, wenn sie unseren Geschmack treffen und das Auge erfreuen. Nicht zu unterschätzen sind ein ansprechendes Ambiente sowie eine anregende Tischgesellschaft. Schon allein das Essen bietet schliesslich hinlänglich Gesprächsstoff, ist Teil unserer persönlichen und kulturellen Identität. Allesamt Aspekte, die auch für die vielen Menschen von Bedeutung sind, die in Institutionen gepflegt, begleitet und betreut werden. Und gerade für sie, weil die Mahlzeiten etwas sind, das sie mit den Menschen, mit der Gesellschaft rund um sie herum verbindet und sie den regulären Alltag erleben lässt. Anders als die vielen Situationen und Aktivitäten, bei denen sie immer wieder damit konfrontiert sind, was sie alles nicht (mehr) können. Damit aber werden die Mahlzeiten sowie die Art und Weise, wie sie gestaltet werden, zu einem wichtigen Instrument, um die Lebensqualität der Bewohnerinnen und Bewohner zu fördern. Dies bedeutet, dass die Heimgastronomie, die Arbeit der Köchinnen und Köche, als integraler Bestandteil des Versorgungsauftrags einer Institution verstanden werden muss – ähnlich der Arbeit des Pflege- und Betreuungspersonals. Alle zusammen tragen sie die Verantwortung für das Wohlbefinden der Bewohnenden. Dieses Verständnis innerhalb der Institutionen fördern will Christoph Roos, Bildungsbeauftragter Gastronomie bei Artiset Bildung. Aufseiten der Köchinnen und Köche hat dies zur Folge, dass sie sich nicht «nur» darauf beschränken dürfen, einfach gut zu kochen. In der Heimgastronomie gehe es auch nicht um möglichst teure Produkte oder eine ausgeklügelte Speisekarte, sagt Roos im Interview auf Seite 10 – und hält fest: «Spitzengastronomie im Heim ist Ernährungswissen vor dem Hintergrund einer bewohnerzentrierten Haltung sowie ein interdisziplinäres Lösungsverständnis.» Was dies im Detail alles heisst und welche Wirkung sich damit erzielen lässt, lernen interessierte Köchinnen und Köche im Lehrgang «Koch/Köchin in sozialen Institutionen» von Artiset Bildung – der schweizweit einzigen Ausbildung in diesem Bereich. Einen Eindruck vermitteln Ihnen die Erfahrungsberichte von Köchinnen und Köchen, die in «ihren» Institutionen diese Haltung umgesetzt haben (Seiten 6, 14, 18, 22). Neben unseren Fokus-Beiträgen empfehle ich Ihnen besonders das Gespräch mit Rahel Stuker, der neuen Geschäftsführerin des Branchenverbands Insos (Seite 36). Unter anderem hält sie fest, dass sie auf eine verbesserte Zusammenarbeit zwischen den Kantonen und den Kollektivmitgliedern hinwirken will. Aufschlussreich ist weiter die Diskussion von zwei Experten zur Teilrevision des Behindertengleichstellungsgesetzes, in dem sich beide für eine finanzierte Arbeitsassistenz starkmachen (Seite 42). Titelbild: Im Begegnungszentrum St. Ulrich am Fuss des Napf geniesst Bewohner Peter Meier seine Mahlzeit mit pürierter Kost. Kunstvoll produziert von Koch Iwan Kurmann. Foto: Marco Zanoni

Die Solidaritätsstiftung des SRF Jetzt spenden mit TWINT! Kitzelsandferien habe ich so gern. Dank Ihrer Spende erhalten Menschen mit Behinderungen einen chancengleichen Zugang zu Ferien und Freizeitaktivitäten. Jetzt spenden. denkanmich.ch IBAN CH44 0077 0254 8509 0200 1 Schauen, ohne die Bilder zu sehen: Unsere taktilen Bilderbücher erzählen sehbehinderten Kindern Geschichten. Helfen auch Sie, Bilderbücher für alle sichtbar zu machen! SPENDENKONTO CH74 0900 0000 8000 1514 1 Ich taste, also schaue ich. SPENDEN MIT TWINT ARTISET Bildung Weiterbildung Abendweg 1, 6000 Luzern 6 T +41 41 419 01 72 wb@artisetbildung.ch artisetbildung.ch/weiterbildung Weiterbildung Der beste Weg in die Zukunft Gesunde Ernährung im Betreuungsalltag lustvoll integriert Der Spagat zwischen Betreuungs- auftrag und Selbstbestimmung 18. April 2024 Zürich In Zusammenarbeit mit INSOS ins_fokus-impuls_85x130_01-22.indd 1 17.01.24 16:15

Inhalt ARTISET 01/02 I 2024 5 Impressum: Redaktion: Elisabeth Seifert (esf), Chefredaktorin; Salomé Zimmermann (sz); Anne-Marie Nicole (amn); France Santi (fsa); Jenny Nerlich (jne) • Korrektorat: Beat Zaugg • Herausgeber: ARTISET • 3. Jahrgang • Adresse: ARTISET, Zieglerstrasse 53, 3007 Bern • Telefon: 031 385 33 33, E-Mail: info@artiset.ch, artiset.ch/ Magazin • Geschäfts-/Stelleninserate: Zürichsee Werbe AG, Fachmedien, Tiefenaustrasse 2, 8640 Rapperswil, Telefon: 044 928 56 53, E-Mail: markus.haas@ fachmedien.ch • Vorstufe und Druck: AST&FISCHER AG, Seftigenstrasse 310, 3084 Wabern, Telefon: 0319631111 • Abonnemente: ARTISET, Telefon: 03138533 33, E-Mail: info@artiset.ch • Jahresabonnement Fr. 125.– • Erscheinungsweise: 8 × deutsch (je 4600 Ex.), 4 × französisch (je 1400 Ex.) pro Jahr • WEMF/KS-Beglaubigung 2023 (nur deutsch): 3167 Ex. (davon verkauft 2951 Ex.) • ISSN: 2813-1355 • Nachdruck, auch auszugsweise, nur nach Absprache mit der Redaktion und mit vollständiger Quellenangabe. Im Fokus 06 Menschen mit Behinderung in die Essenszubereitung einbeziehen 10 Was Spitzengastronomie in sozialen Institutionen ausmacht 14 Wie pürierte Kost ein Genusserlebnis wird 18 Flexible Verpflegungsleistungen sind ein Gebot der Stunde 22 Für Kinder kochen – eine Herausforderung 26 Junge Menschen auf dem Weg zu einem gesunden Essverhalten begleiten kurz & knapp 30 Die Welt im Heim – mit Virtual Reality Aktuell 32 Dächer von sozialen Institutionen eignen sich zur Solarstromproduktion 36 Insos-Geschäftsführerin Rahel Stuker setzt auf partnerschaftlichen Austausch 40 Herausfordernde Pflegesituationen meistern – eine Schulung hilft dabei 42 Inklusion erfordert die finanzierte Arbeitsassistenz – sagen zwei Experten 46 Die psychische Gesundheit von jungen Menschen stärken 48 Erfolgreiche Spendenkampagnen Politische Feder 50 Daniel Höchli, Geschäftsführer Artiset 22 36 50

6 ARTISET 01/02 I 2024 Ganzheitliche und lebendige Gastronomie Motiviert bereitet das Küchenteam des Ekkharthofs für jeden Wochentag bis zu 350 Mittagessen zu. Jeder Teller ist sorgfältig angerichtet. Die Produkte stammen aus nachhaltigem Anbau, mehrheitlich vom Ekkharthof selbst. Fotos: Philipp Uricher

ARTISET 01/02 I 2024 7 Im Fokus In der sozialen Institution Ekkharthof im Thurgau werden Menschen mit und ohne Beeinträchtigungen in den Anbau, die Produktion und die Zubereitung gesunder Nahrungsmittel eingebunden. Dadurch sind sie sensibilisiert für die Thematik des gesunden Essens. Wie das alles funktioniert, das zeigt ein Augenschein vor Ort. Von Salomé Zimmermann Von Weinfelden aus dauert es eine gute halbe Stunde im Bus, vorbei an Dörfern, Weilern, Bauernhöfen, Feldern und Obstplantagen, bis der Ekkharthof im thurgauischen Lengwil etwas oberhalb von Kreuzlingen mit Blick auf den Bodensee sichtbar wird – eine soziale Institution, in der über 200 Menschen mit einer kognitiven Beeinträchtigung gefördert und begleitet werden. Schon von Weitem ist anhand der verschiedenen, farbigen Gebäude mit ihrer typischen Konstruktion der runden Ecken erkennbar, dass sich der Ekkharthof an der anthroposophischen Philosophie ausrichtet. Dies bedeutet eine ganzheitliche Sichtweise auf das Leben und die Menschen, die hier wohnen und wirken. Der vor über 50 Jahren gegründete Ekkharthof-Verein verfügt auch über Aussenstellen in der Region, eine heilpädagogische Schule, Integrationsbetriebe und Förderateliers sowie verschiedene Wohnmöglichkeiten für alle Altersklassen, von Kindern bis ins hohe Alter, von der einmal wöchentlich betreuten Wohngemeinschaft bis zu Wohngruppen mit 24-Stunden-Betreuung. «Der Ekkharthof ist in den letzten Jahren stetig gewachsen und verfügt mittlerweile über ein sehr breites Pflege-, Bildungs-, Therapie- und Freizeitangebot», sagt der Kommunikationsverantwortliche Manolo Schwarz. Lebensmittel für Eigengebrauch und Verkauf Ein spezielles Augenmerk richtet der Ekkharthof auf eine gesunde, nachhaltige und gleichzeitig leckere Ernährung. Der engagierte Gastronomieleiter und Küchenchef Manuel Müller erzählt, dass am Ekkharthof viele der verwendeten Nahrungsmittel selber angebaut und hergestellt werden. Davon zeugen die Felder, die Gewächshäuser, die Gärten, die Ställe und die verschiedenen Werkstätten, die Mitarbeitende, Auszubildende und Menschen mit Beeinträchtigungen gemeinsam bewirtschaften. Vieles wird für den Eigengebrauch und den öffentlich zugänglichen Bioladen produziert. In der Gärtnerei werden zudem Heilkräuter angebaut, welche in einer Medizinalfirma zu Medikamenten und Tees weiterverarbeitet werden. Dreimal pro Jahr finden grosse Märkte mit Festcharakter statt, an denen die Produkte unter der Marke «Hand und Hof» verkauft werden und sehr beliebt sind bei der Bevölkerung im ganzen Kanton Thurgau und darüber hinaus. Manuel Müller arbeitet seit 13 Jahren am Ekkharthof, entsprechend kennt er die Institution und ihre Menschen so gut wie seine Westentasche. Beim Rundgang über das Gelände wird er überall erkannt und freudig begrüsst. Alle sind per Du, das hängt laut Manuel Müller mit den flachen Hierarchien und dem familiären Charakter des Ekkharthofs zusammen, «wir sind hier fast ein eigenes kleines Dorf oder eine grosse Familie».

8 ARTISET 01/02 I 2024 Bioqualität im Laden und beim Essen Gleich beim Eingang des rosafarbenen Hauptgebäudes befindet sich der hauseigene Bioladen. Er ist bestückt mit den Nahrungsmitteln und weiteren Produkten aus den verschiedenen Werkstätten und Kunstateliers, von Konfitüren, Pasten, Holzspielzeugen bis zu Kerzen, alles in hoher Qualität, ergänzt durch eingekaufte Waren. «Es handelt sich um ein Vollsortiment, damit die verschiedenen Wohngruppen das Frühstück und das Abendessen und viele Waren des alltäglichen Gebrauchs gemäss den individuellen Bedürfnissen selbständig vor Ort einkaufen können», erläutert Müller. Die Hauptmahlzeit des Tages bildet das Mittagessen, das im grossen Speisesaal, der Cantina, gemäss dem Kantinen-­ Prinzip zwischen zwölf und halb zwei Uhr in den verschiedenen Gruppen gestaffelt eingenommen wird. Jeden Tag unter der Woche gibt es ein frisch zubereitetes Menü aus den fünf Komponenten Suppe, Salat, Gemüse, Hauptmenü und Dessert, das am Buffet je nach Hunger und Vorlieben zusammengestellt werden kann. Wasser und Tee auf den Tischen stehen zur Verfügung. Fürs Wochenende mit seinem reduzierten Betrieb kocht das Küchenteam das Essen jeweils vor. «Wir ernähren uns hier am Ekkharthof hauptsächlich vegetarisch, im Verhältnis von 80 zu 20 Prozent, und das bereits seit den Anfängen, nicht erst in der heutigen Zeit, wo das verbreiteter ist», sagt Müller. Das Fleisch, das an zwei Tagen pro Woche auf dem Menüplan steht, stammt ebenfalls vom Ekkharthof, etwa vom Braunvieh aus den Ställen. «Schweinefleisch verwenden wir nicht mehr, da nicht alle Bevölkerungsgruppen dieses Fleisch essen», so Müller. Nachhaltigkeit ist Programm Unterhalb des Speisesaals befindet sich die grosszügige Küche mit mehreren Kühlräumen. In Letzteren werden unter anderem die Boxen mit den Portionen für die Wohngruppen aufbewahrt, die jeweils am Morgen geholt und gemäss aufgeklebter Anleitung zubereitet werden. Auch das vorgekochte Essen fürs Wochenende wird in den Kühlräumen kalt gestellt. Daneben gibt es Vorräte, etwa hausgemachte Salatsaucen. Derzeit sieht eine der Saucensorten rötlich aus, denn «momentan haben wir nur noch die roten Zwiebeln übrig», so Müller. Dies zeigt, wie sorgfältig gekocht wird, gemäss den Jahreszeiten und den vorhandenen Lebensmitteln, unter Verwertung möglichst aller Bestandteile und mit wenig Abfällen. In der Folge gibt es nie ganz genau das gleiche Essen, anders als etwa in Spitälern, wo ungefähr alle sechs Wochen die Menüs wiederholt werden. «Wir verwenden zudem robuste Mehrweggefässe», sagt Müller, «auch dies im Sinn der Nachhaltigkeit.» Grundprinzip Eigenverantwortung In der Küche ist Manuel Müller zusammen mit seinem Stellvertreter Jurij Simnacher und mit dem insgesamt etwa 20-köpfigen Team, bestehend aus Köchen, Arbeitsagoginnen, Auszubildenden und Menschen mit Beeinträchtigungen, in seinem Element. Es wird ruhig und konzentriert gearbeitet, das Grundprinzip ist viel Eigenverantwortung gemäss den individuellen Möglichkeiten. «Wir von der Leitung stellen vor allem die Rahmenbedingungen sicher, damit alle möglichst selbstständig arbeiten können», sagt Müller. Es ist ihm sehr wichtig, dass in der Küche alle mithelfen und mitbestimmen können. So wird etwa einmal wöchentlich gemeinsam das Mittagsmenü für die verschiedenen Wochentage bestimmt und auf einer grossen Tafel notiert. «Anders als in herkömmlichen Küchen haben wir zudem keine fix zugeteilten Posten, sondern arbeiten in den fünf Gruppen Rüsten, Kalte Küche, Produktion, Diätküche und Hygiene und rotieren gemäss individuellen Wünschen und Möglichkeiten», ergänzt Jurij Simnacher. Der Gastronomieleiter und sein Stellvertreter betonen, wie praktisch es ist, dass sie viele Produkte für die Küche direkt in den rund 15 hauseigenen Werkstätten bestellen können, etwa die Milch und Joghurts aus der Molkerei oder frisches Brot aus der Bäckerei. Dazu braucht es einzig einen gewissen Vorlauf der Bestellungen, damit alles reibungslos funktioniert. Klare Strukturen und klare Kommunikation Wer darf in der Küche mitarbeiten? «Da sind wir sehr offen, es gibt nur praktische Einschränkungen, beispielsweise ist Manuel Müller, Chef eines 20-köpfigen Küchenteams.

ARTISET 01/02 I 2024 9 es nicht möglich, dass Personen im Rollstuhl in der Küche tätig sind», sagt Müller. Nach einer Probezeit wird gemeinsam entschieden, ob die Zusammenarbeit passt. Generell fällt auf, wie gut alles beschriftet und mit Piktogrammen versehen ist, damit auch diejenigen, die weniger gut lesen können, verstehen, worum es geht. Die Strukturen in der sauberen Küche sind sehr klar und übersichtlich, überall hängen To-do-Listen, alles hat seinen festen Platz, es wird klar, dass das System gut durchdacht ist. Das ist auch nötig, denn «am Ekkharthof wird mittlerweile pro Woche eine halbe Tonne Gemüse verarbeitet», erläutert Manuel Müller die Dimensionen. Für jeden Wochentag bereitet das motivierte Küchenteam zwischen 300 und 350 und für das Wochenende etwa 80 Mittagessen zu, alles zu fixen Arbeitszeiten unter der Woche. «Entscheidend ist bei diesen Mengen neben der guten Planung auch eine klare Kommunikation und Aufgabenverteilung, damit immer alle wissen, was wann zu tun ist», so Müller. Ständige Weiterentwicklung Die Menschen mit Beeinträchtigungen werden am Ekkharthof sensibilisiert für das Thema gesunde Ernährung, indem sie in den verschiedenen Bereichen im Garten, in den Werkstätten, im Bioladen und in der Küche in die Herstellung gesunder Nahrungsmittel involviert sind. Wie wir alle haben sie aber manchmal Lust auf Junkfood – und das ist gemäss Müller ausserhalb des Geländes auch in Ordnung. Dies bedeutet, dass der Ekkharthof einen pragmatischen Mittelweg zwischen Ver- und Geboten und der Selbstbestimmung geht. «Wir von der Leitung stellen vor allem die Rahmenbedingungen sicher, damit alle möglichst selbstständig arbeiten können. In der Küche sollen alle mithelfen und mitbestimmen.» Manuel Müller, Gastronomieleiter und Küchenchef Dreimal im Jahr werden die Ekkharthof-Produkte an Märkten mit Festcharakter verkauft. Im Fokus Die Auseinandersetzung mit gesunder Ernährung bedeutet am Ekkharthof auch eine stete Weiterentwicklung und Anpassung an aktuelles Wissen. Dies geschieht durch regelmässige Schulungen und Weiterbildungen, nicht zuletzt durch externe Expertinnen und Experten. Eine besonders geschätzte Ansprechperson ist Christoph Roos, Bildungsbeauftragter Gastronomie/Selbst- und Sozialkompetenz von Artiset. Mit seiner Hilfe wird laut Manuel Müller derzeit weiter am Ernährungskonzept des Ekkharthofs gefeilt, zum Nutzen und zur Freude aller Menschen am Ekkharthof und der Bevölkerung im näheren und weiteren Umfeld.

10 ARTISET 01/02 I 2024 Im Fokus Die Heimgastronomie folgt einer anderen Logik als die klassische Gastronomie. Davon ist Christoph Roos überzeugt; er ist Bildungsbeauftragter Gastronomie von Artiset Bildung*. Das Wirkungsfeld der Küchenverantwortlichen in einer Institution ist nicht nur die Küche, sondern geht weit darüber hinaus. Gefragt ist ein enger Austausch mit Bewohnenden und den verschiedenen Berufsgruppen. Interview: Elisabeth Seifert « Einen physischen und seelischen Mehrwert schaffen» Herr Roos, gutes, gesundes Essen ist für uns alle von grosser Bedeutung, auch für die Menschen in den vielen sozialen Institutionen im Land. Wie gut gelingt es den Institutionen, diesem Anspruch zu genügen? In der Heimgastronomie arbeiten viele, die zuvor in der klassischen Gastronomie tätig waren. Sie beherrschen in aller Regel ihr Handwerk. Sie verwenden gute Produkte, erstellen einen abwechslungsreichen Menüplan, kaufen regional ein. Um in der Heimgastronomie einen guten Job zu machen, genügt es aber nicht, «nur» gut kochen zu können. Wie meinen Sie das? Ein guter Koch oder eine gute Köchin in einem Pflegeheim oder einer sozialen Institution darf sich nicht nur über sein oder ihr fachliches Können in der Küche definieren. Die Heimgastronomie fordert vielmehr die Person als Ganzes. Das ist vielen noch nicht so bewusst. Das Küchenpersonal darf sein Wirkungsfeld nicht nur auf die Küche beschränken, sondern muss die Küche auch verlassen. Ganz besonders die Küchenverantwortlichen sind gefordert, sich zum Beispiel mit Bewohnenden in der Cafeteria an einen Tisch zu setzen, um mit Ihnen über das Essen zu diskutieren, ihre Vorlieben kennenzulernen, ihre Essbiografien zu verstehen. Man darf also nicht davon ausgehen, dass man sowieso weiss, was die Bewohnerinnen und Bewohner gerne essen und was ihnen guttut? Qualität in der Heimgastronomie ist stark von einer bewohnerzentrierten Haltung der Küche abhängig. Die Bedürfnisse der Bewohnenden von sozialen Institutionen sind nicht einfach identisch mit jenen der Gäste in der klassischen Gastronomie. Sie haben sehr spezifische und zum Teil auch sehr komplexe Bedürfnisse, die sich zudem auch immer wieder ändern. Jeder Tag bringt eine neue Situation, und die Küche sollte sich darauf einlassen. Dazu gehört etwa, sich immer wieder ein Bild davon zu machen, wie es den Bewohnenden auf den einzelnen Stationen geht. …das aber gelingt nur, wenn die Küchenverantwortlichen in einem engen Austausch mit den Stationen respektive den entsprechenden Mitarbeitenden stehen? Die Verantwortlichen in der Küche brauchen ein Gespür für lebendige Prozesse. Die Produktion innerhalb von sozialen Institutionen ist eingebettet

ARTISET 01/02 I 2024 11 in verschiedene weitere Prozesse, die gerade in grossen Institutionen sehr umfangreich sein können. Hohe logistische Anforderungen stellt etwa das Schicken der Mahlzeiten auf die Stationen. Besonders anspruchsvoll wird es dadurch, dass sich die Situation auf den Stationen jeden Tag verändert, aufseiten der Bewohnenden und auch aufseiten der Mitarbeitenden. Nur aufgrund einer guten Kommunikation mit allen involvierten Berufsgruppen und einer angemessenen Infrastruktur gelingt es, die Mahlzeiten zum richtigen Zeitpunkt und in der richtigen Art und Weise auf die einzelnen Stationen zu schicken. Was dieses Bewusstsein für lebendige Prozesse betrifft, da sehen Sie in den Institutionen noch Handlungsbedarf? Die Verantwortlichen müssen verstehen, dass die Verpflegungsqualität für die Bewohnenden über die reine Produktion hinaus von einer Reihe weiterer Faktoren abhängt, die die Küche berücksichtigen muss. Die Heranführung an ein systemisches Denken spielt deshalb im Lehrgang von Artiset Weiterbildung zum Koch oder zur Köchin in sozialen Institutionen eine wichtige Rolle. Es gilt sich bewusst zu machen, dass alles, was in der Küche geschieht, in einer Wechselwirkung mit etwas anderem steht. Wir müssen wegkommen von einem reinen Input-Output-Denken und offen sein für verschiedene Szenarien, die mit einer gewissen Wahrscheinlichkeit eintreten werden. Sie betonen die Notwendigkeit, in steter Kommunikation mit allen involvierten Berufsgruppen auf die täglich sich ändernden Bedürfnisse zu reagieren. Wo sehen Sie weitere wichtige Erfolgsfaktoren? Ganz zentral ist eine Angebotsplanung, die sich an den spezifischen Bedürfnissen der Bewohnenden orientiert. Zum einen ist hier die Versorgung mit den richtigen Nährstoffen zu erwähnen. Bei Menschen im Alter und ganz besonders bei Menschen mit komplexen Beeinträchtigungen gibt es hier immer wieder andere Anforderungen. Zum anderen muss auch die Angebotsauswahl stimmen, hinzu kommen auf die Bedürfnisse ausgerichtete Essenszeiten und die Art und Weise, wie das Essen serviert wird. Um eine solche auf die individuellen Bedürfnisse ausgerichtete Angebotsplanung machen zu können, braucht es zudem eine professionalisierte und rationelle Produktion der Mahlzeiten. Die Technologie in diesem Bereich schreitet rasant voran. All diese Anforderungen zu erfüllen, stelle ich mir sehr anspruchsvoll vor… Wenn man den Beruf als Koch oder Köchin einer sozialen Institution ernst nimmt, dann hat das viel mit Spitzengastronomie zu tun. Im Unterschied zur klassischen Gastronomie zeichnet sich die Spitzengastronomie in einer Institution aber nicht durch ein von Konkurrenz geprägtes Leistungsdenken und hierarchische Strukturen aus. Für die Spitzengastronomie im Heim braucht es vielmehr Herz, Kopf und Lebensfreude. Spitzengastronomie in einer sozialen Institution: Können Sie das noch etwas konkretisieren? In der Heimgastronomie geht es nicht um exzentrische Konzepte, möglichst teure Produkte oder ausgeklügelte Sensorikerlebnisse. Spitzengastronomie im Heim ist Ernährungswissen vor dem Hintergrund einer bewohnerzentrierten Haltung sowie ein interdisziplinäres Lösungsverständnis. Der Kochberuf in einer sozialen Institution «Spitzengastronomie im Heim ist Ernährungswissen vor dem Hintergrund einer bewohnerzentrierten Haltung sowie ein interdisziplinäres Lösungsverständnis.» Christoph Roos Weitere Informationen zum Lehrgang von Artiset Bildung finden Sie hier: LEHRGANG KOCH / KÖCHIN IN SOZIALEN INSTITUTIONEN Der Lehrgang von Artiset Bildung ist eine Fachvertiefung für Verpflegungsspezialisten aus sozialen Institutionen. Er sensibilisiert für ein differenziertes Verständnis der Bedürfnisse von Bewohnenden. Kenntnisse über deren Lebenssituationen sind von entscheidender Bedeutung, wenn es darum geht, mit Essen und Trinken einen Ausgleich zum oft beschwerlichen Alltag zu schaffen. Die Schwerpunkte des Branchenzertifikats Koch/Köchin in sozialen Institutionen erweitern das klassische Berufsbild. Vertieft werden Kompetenzen in Ernährungsfragen sowie Themen aus sozialer und kommunikativer Perspektive. Ferner spielen die ökonomischen Parameter im Rahmen der vernetzten Betriebsorganisation eine bedeutende Rolle. Der Lehrgang richtet sich an ausgebildete Köchinnen und Köche. Er dauert 21 Tage und wird wiederum vom August 2024 bis Juli 2025 durchgeführt. fordert überdurchschnittlich viel Herzenskompetenzen. Damit die Qualität für die Bewohnenden stimmt, braucht es Tag für Tag ein Suchen und Finden, viel Austausch und Gespür. Good-Gastronomie-Practice in einer sozialen Institution setzt also ein hohes Mass an fachlichen und menschlichen Fähigkeiten voraus. Ein umfassenderes und sinnstiftenderes Entwicklungsfeld für Köchinnen und Köche gibt es nicht.

12 ARTISET 01/02 I 2024 Eine so verstandene Küche trägt dann auch entsprechend viel zur Gesundheit und Wohlbefinden der Bewohnenden bei? Wenn Köchinnen und Köche ihre Arbeit richtigmachen, haben sie einen grossen Einfluss auf die Lebensqualität der Bewohnenden. Oder umgekehrt formuliert: Wenn ich das Essen so gestalten kann, dass es einen physischen und seelischen Mehrwert hat, dann habe ich das Kochen auf die Spitze getrieben. Und um das zu erreichen, braucht es nicht einmal viel Geld. Gefragt sind, wie gesagt, eine gute Fachlichkeit und dann vor allem viel Offenheit, Flexibilität und Empathie. Wie beurteilen Sie die Ausbildung der Köchinnen und Köche, die in der Heimgastronomie arbeiten? Die Grundausbildung Koch/Köchin EFZ oder die Berufsprüfung zum Chefkoch fokussieren auf die klassischen Gastronomiebedürfnisse. Das Bewusstsein für die Anforderungen des Kochberufs in sozialen Institutionen, so wie ich sie beschrieben habe, ist in den Berufsverbänden marginal vorhanden. Häufig ist dort fachliches Wettbewerbs- und Leistungsdenken in unterschiedlicher Intensität das Mass der Dinge. Dies ist auch der Grund, warum Fachkräfte das Branchenzertifikat Koch/ Köchin in sozialen Institutionen von Artiset absolvieren. Diese Fachvertiefung macht die Berufsleute fit, damit sie ihre anspruchsvolle und vielschichtige Rolle aktiv gestalten können. Im Fokus Christoph Roos, Bildungsbeauftragter Gastronomie von Artiset Bildung: «Um in der Heimgastronomie einen guten Job machen zu können, genügt es nicht, gut kochen zu können.» Foto: Privat

ARTISET 01/02 I 2024 13 Gibt es nicht auch unterschiedliche Anforderungen an die Küche, je nachdem, ob eine soziale Institution Menschen im Alter, Menschen mit Behinderung oder Kinder und Jugendliche begleitet? In den Pflegeheimen kann man als Koch oder Köchin direkter wirken, weil in der Regel alle Mahlzeiten aus der Küche heraus gesteuert werden. In Institutionen für Menschen mit Behinderung und auch für Kinder und Jugendliche produziert die Küche oft nur einen Teil der Verpflegung. Neben der Küche spielen bei der Zubereitung des Essens auch Betreuungspersonen der Pflege oder Sozialpädagogik auf den Wohngruppen eine zentrale Rolle. Und anders als im Pflegeheim essen die begleiteten Menschen oft auch nicht nur in der Institution? Sie verbringen den Tag oft in einer Tagesstruktur oder einer Schule. In der Institution gibt es dann nur das Frühstück, und am Abend kochen in den Wohngruppen die Sozialpädagoginnen und Sozialpädagogen oft selbst mit den Bewohnenden. Wenn es um die Qualität der Ernährung in Institutionen für Menschen mit Behinderung und für Kinder und Jugendliche geht, spielt deshalb ganz besonders das Empowerment des Umfelds, also die Befähigung der Betreuungs- und Fachpersonen, eine zentrale Rolle. Sind vor allem in den Pflegeheimküchen die absoluten Kochprofis gefordert, um auf die verschiedensten gesundheitlichen Probleme eine gute Antwort zu finden? Ein zielgruppengerechtes Ernährungswissen ist in Institutionen aller Unterstützungsbereiche von Bedeutung, ganz besonders in grossen Einrichtungen mit entsprechend vielen unterschiedlichen Bedürfnissen. Im Altersbereich ist die Situation dabei sogar noch recht übersichtlich: Hier muss die Küche die verschiedenen Konsistenzstufen bis hin zur pürierten Kost beherrschen und mit Diabetes, Mangelernährung, salzarmer Kost sowie der Lactose- und Glutenunverträglichkeit umgehen können. In Institutionen für Menschen mit schweren mehrfachen Behinderungen muss die Küche auf zum Teil sehr spezifische und hochkomplexe Ernährungsbedürfnisse eingehen können. Sie haben betreffend Behinderten- sowie Kinder- und Jugendinstitutionen das Empowerment des Umfelds genannt. Was meinen Sie damit genau? Für die Betreuungspersonen in einer sozialen Institution ist das Thema Ernährung weniger zentral, ja manchmal auch mit Frust verbunden. Dies deshalb, weil sie zum einen darauf achten sollen, dass sich die Bewohnenden gesund ernähren, und zum anderen ihnen aber auch die Freiheit lassen wollen, selbst bestimmen zu können, was sie essen möchten. Als Sozialpädagoge oder Sozialpädagogin steht man da in einem Spannungsfeld. Hinzu kommt, dass sie selber vielleicht auch nicht gut kochen können, dabei aber immer wieder Kochaufgaben übernehmen müssen. Und diese Herausforderungen lassen sich mit der Befähigung des Umfelds lösen… Ja, und zwar geht es darum, sowohl die Fachpersonen also auch die Bewohnenden für eine gesunde Ernährung zu sensibilisieren. Dies gelingt, wenn Betreuungspersonen das Thema Essen und Ernährung in einem spielerischen und lustvollen Sinn in die Alltagsaktivitäten einbauen. Das können Blinddegustationen mit Früchten sein oder die gemeinsam Menüplanung, wo durchaus auch Junkfood-Tage Platz haben können. Ganz wichtig ist auch die Vorbildwirkung. Wer zur Pause ein Red Bull trinkt, kann den Klientinnen und Klienten nicht gleichzeitig Äpfel verteilen. Wo sehen Sie die besonderen Anforderungen an Institutionen im Kinder- und Jugendbereich? Bei Kindern haben wir unter anderem die Aufgabe, das Geschmacksempfinden zu prägen. Essen soll eine Forschungsreise sein, beim Geschmack, bei der Konsistenz und beim Aussehen. Es geht darum, das Interesse über ein vielfältiges, ausgewogenes und dem jeweiligen Alter der Kinder entsprechendes Angebot zu wecken. Ganz wichtig: Die Menüs und Gerichte werden vorgegeben, was probiert wird, entscheiden die Kinder selbst. Sie sollen aber auch Chicken Nuggets und Pommes frites essen können. Ganz wichtig ist weiter die Gestaltung des Essens: Eine ruhige und achtsame Atmosphäre kann gerade bei Kindern und Jugendlichen viel zur Stabilisierung in schwierigen Lebenssituationen beitragen. Auch in diesem Kontext ist die Vorbildfunktion der Betreuungspersonen zentral, da Kinder viel über Nachahmung lernen. Wie ist es möglich in Zeiten des Fach- und Arbeitskräftemangels, der Pflegeheime und soziale Institutionen generell stark fordert, all den Ansprüchen gerecht zu werden? Für eine gute Verpflegung zu sorgen, das liegt letztlich in der Verantwortung der Institutionsleitung. Sie muss alle am Verpflegungsprozess Beteiligten an einen Tisch bringen, auch die Verantwortlichen in der Küche, und den Austausch unter all den verschiedenen Berufsgruppen fördern. Und zwar unabhängig von einer bestimmten Personalsituation. Nur wenn die Küche, die Pflege und auch die Hauswirtschaft eingebunden sind, lässt sich eine hohe Lebensqualität für die Bewohnerinnen und Bewohner erzielen. * Christoph Roos ist Bildungsbeauftragter Gastronomie/Selbst- und Sozialkompetenz bei Artiset Bildung.

14 ARTISET 01/02 I 2024 Die Mahlzeit schmeckt

ARTISET 01/02 I 2024 15 Im Fokus «Das Auge isst mit», heisst es so schön. Bei Menschen mit Schluckbeschwerden löst der Anblick von pürierter Kost aber häufig keine Freude aus. Im Begegnungszentrum St. Ulrich in Luthern BE hat man ein Projekt lanciert, um die pürierte Kost optisch aufzuwerten. Diese Innovation wirkt auf die Betroffenen appetitanregend und kommt auch bei der Belegschaft an. Von Monika Bachmann Luthern liegt am Fuss des Napfs. Umgeben von Wäldern und eingebettet in eine sanfte Hügellandschaft, scheinen sich Fuchs und Hase hier gute Nacht zu sagen. Die Gegend könnte idyllischer nicht sein. Ganz hinten im Tal führt eine Strasse ins Innermoos hinauf, einer sonnigen Anhöhe mit Blick auf den Hausberg. Dort befindet sich das Begegnungszentrum St. Ulrich. Nur die abgelegene Lage deutet heute noch darauf hin, dass an dieser Stelle im 19. Jahrhundert eine Armenanstalt mit Waisenhaus stand. Später diente das Gebäude als Bürgerheim, daraufhin als Altersheim. Seit 2009 wird es als Generationenhaus geführt – junge und alte Menschen teilen ihren Alltag. Sie werden betreut, gepflegt, beschäftigt oder arbeiten aktiv im Betrieb mit, zum Beispiel im Garten, in der Haus- und Landwirtschaft oder der Gastronomie. Die Dinge besser machen Die Küche spielt im Begegnungszentrum eine wichtige Rolle. Die naturnahe Lage widerspiegelt sich auch im Verpflegungskonzept. Man setzt auf lokale und regionale Produkte, ein Teil davon stammt aus dem betriebseigenen Bauernhof, der Milch, Fleisch und Eier liefert. Auch ein Gewächshaus und ein Garten gehören zum Betrieb. Der Menüplan richtet sich nach den Bewohnerinnen und Bewohnern, die unterschiedliche Bedürfnisse haben – ein anspruchsvolles Unterfangen, wie Küchenchef Iwan Kurmann zu bedenken gibt: «Man muss sich selbst immer wieder hinterfragen und überlegen, ob es Dinge gibt, die man besser machen könnte.» Beim Thema pürierte Kost sah er Handlungsbedarf: «Püriertes Essen sieht optisch häufig nicht ansprechend aus, in der Küche wird die Zubereitung dieser Mahlzeiten vernachlässigt», so seine Erfahrung. Obwohl im Begegnungszentrum von den insgesamt 62 Bewohnerinnen und Bewohnern nur vier auf Püriertes angewiesen sind, war es dem Küchenchef ein Anliegen, ihre Mahlzeiten zu optimieren. Ein Rezeptbuch für pürierte Kost So absolviert er 2023 die Artiset-Weiterbildung «Koch in sozialen Institutionen» und lanciert im Rahmen dieses Lehrgangs ein Projekt, das auf Menschen mit Schluckbeschwerden ausgerichtet ist. Das Ziel ist klar: Die pürierten Mahlzeiten sollen zukünftig an den allgemeinen Menüplan angeglichen und ansprechend angerichtet werden. Um dieses Vorhaben umzusetzen und in der Institution zu verankern, nimmt er auch die Belegschaft ins Visier: «Ein solches Projekt kann nur gelingen, wenn die Mitarbeitenden Auch pürierte Kost kann Freude machen: Küchenchef Iwan Kurmann und Bewohner Peter Meier. Fotos: Marco Zanoni GENERATIONENHAUS Wo heute das Begegnungszentrum St. Ulrich steht, befand sich ab 1863 eine Armenanstalt, ab 1962 ein Bürgerheim und ab 1991 ein Alters- und Pflegeheim. Seit 2009 nennt sich die Institution Generationenhaus. Sie bietet Wohn-, Beschäftigungs- und Arbeitsplätze für Alt und Jung. Es leben 62 Menschen im Alter zwischen 20 und 95 Jahren an diesem Ort, das Durchschnittsalter liegt bei 70 Jahren. Mit dieser Generationenvielfalt soll laut den Verantwortlichen das «Gefühl einer Grossfamilie» entstehen. Bei den Bewohnerinnen und Bewohnern handelt es sich einerseits um Menschen, die eine Praktische Ausbildung (PrA) Schweiz abgeschlossen haben und im Betrieb mitarbeiten, oder um Personen mit einer psychischen Erkrankung, andererseits um ältere Menschen, die auf Betreuung und Pflege angewiesen sind. Das Begegnungszentrum besteht aus einem Haupthaus mit 46 Plätzen für Einzelpersonen oder Paare sowie umliegenden Aussenstationen mit weiteren 16 Plätzen, die aus Studios bestehen oder als WG geführt werden. Trägerschaft ist die Gemeinde Luthern.

SPENDEN SIE ZUVERSICHT IN BANGEN MOMENTEN Spendenkonto: Bank für Sozialwirtschaft IBAN: DE    BIC: BFSWDE XXX www.aerzte-ohne-grenzen.de/spenden Mit Ihrer Spende rettet ÄRZTE OHNE GRENZEN Leben: Mit  Euro ermöglichen Sie z.B. das sterile Material, um die Wunden von 15 Patient*innen zu versorgen. Private Spender*innen ermöglichen unsere unabhängige Hilfe – jede Spende macht uns stark! JORDANIEN: Die Physiotherapeutin Rula Marahfeh trainiert mit Ahmed Darwesch. Er wurde im Jemen bei einer Explosion verletzt. © Peter Bräunig

ARTISET 01/02 I 2024 17 sensibilisiert und geschult sind», so die Erkenntnis von Iwan Kurmann. Deshalb wird im Begegnungszentrum ein interdisziplinäres Projektteam eingesetzt, das der Idee zum Durchbruch verhilft. Das Ergebnis lässt sich sehen: Wenn heute beispielsweise Pouletbrust, Pommes frites, Erbsli und Rüebli zum Mittagessen serviert werden, sind die herkömmliche und die pürierte Variante optisch kaum voneinander zu unterscheiden. Alle Personen, also auch jene mit Schluckbeschwerden, essen das gleiche Menü. Um dies zu ermöglichen, hat Iwan Kurmann eine ganze Reihe von neuen, verbesserten Rezepturen für pürierte Kost entwickelt und in einem digitalen Ordner zusammengefasst, auf dessen Grundlage die Produktion nun leichterfällt. Die Investition hat sich gelohnt. Bei den Betroffenen kommt der schön angerichtete Teller gut an: «Wir stellen fest, dass Personen mit Schluckbeschwerden seither mehr essen», freut sich der Küchenchef. Gewinn ohne Mehraufwand Die neue Praxis wird im Begegnungszentrum St. Urban seit Frühsommer 2023 angewandt. Der Mehraufwand hält sich in Grenzen, wie Iwan Kurmann ausführt: «Wir reservieren alle zwei Monate einen Arbeitstag für die Vorproduktion von pürierten Gerichten.» Das heisst: Lebensmittel kochen und pürieren, mit Verdickungsmitteln abbinden sowie mit Proteinen und Nährstoffen anreichern, in Formen abfüllen und einfrieren. Dank dieser Planung und den vorhandenen digitalen Rezepturen benötigt das Küchenteam keine zusätzlichen Ressourcen. Während der Projektphase hingegen war ein grosser Effort erforderlich: Die neuen Rezepturen mussten zuerst getestet werden, bevor sie auf den Menüplan kamen. «Wir haben im Haus einen Degustationsanlass durchgeführt, der auf breites Interesse gestossen ist», erzählt der Küchenchef. Alle geladenen Gäste seien gekommen, alle Abteilungen seien vertreten gewesen. «Die vielen positiven Feedbacks haben uns gezeigt, dass wir auf dem richtigen Weg sind», folgert er. In einem weiteren Schritt galt es, die Mitarbeitenden für das Thema Schluckbeschwerden zu sensibilisieren. Anstoss dazu gab eine interne, interdisziplinäre Schulung unter der Leitung einer externen Logopädin. Danach folgte ein Perspektivenwechsel: Mitarbeitende der Küche absolvierten während einer Mahlzeit einen Arbeitseinsatz bei der Pflege und beschäftigen sich mit den Themen Essen und Schluckbeschwerden. Mitgestalten und mitreden Der Einbezug aller Beteiligter war dem Projektteam wichtig. Deshalb wurde nach der Einführung des neuen Konzeptes im Haus eine Umfrage lanciert, die zwei Wochen lang dauerte. Die Mitarbeitenden der Pflege und Betreuung leisteten dabei wertvolle Unterstützung. Sie holten die Meinungen der Bewohnerinnen und Bewohner ab und degustierten die Menüs auch selbst. Die ausgefüllten Fragebogen brachte man umgehend zurück in die Küche. «Somit sahen wir zeitnah, ob die Gerichte gelungen oder Verbesserungen angezeigt waren», erklärt Iwan Kurmann. Die Umfrage ist längst abgeschlossen, doch Partizipation wird im Begegnungszentrum weiterhin grossgeschrieben. So gibt es beispielsweise eine Kochgruppe, die einmal im Monat mit Unterstützung des Aktivierungsteams ein Mittagessen zubereitet. Die Bewohnerinnen und Bewohner bringen ihre Wünsche ein und helfen beim Gestalten der Menüplanung. Eine wesentliche Neuerung gibt es seit 2024: Viermal im Jahr trifft man sich im Generationenhaus bei Kaffee und Kuchen zu einer Versammlung, um Anregungen und Feedbacks für die Küche entgegenzunehmen. Ein Trend zeichnet sich dabei ab: Die traditionelle Küche mit lokaler Verankerung ist im luzernischen Hinterland hoch im Kurs. Doch einige haben auch Lust auf Modernes und Exotisches. Tofu, Quinoa und Thai-Curry stehen jetzt auch auf dem Menüplan. Alle Personen, also auch jene mit Schluckbeschwerden, essen das gleich Menü. Um dies zu ermöglichen, hat Küchenchef Iwan Kurmann eine ganze Reihe von neuen, verbesserten Rezepturen für pürierte Kost entwickelt. Pouletbrust, Rüebli, Erbsli und Pommes frites: Die pürierte Variante unterscheidet sich kaum vom herkömmlichen Menü. Im Fokus

18 ARTISET 01/02 I 2024 Im Fokus Ein breiteres Zeitfenster für die Mahlzeiten am Mittag: Die Erfahrungen des Pflegeheims Rosenpark in Gersau SZ zeigen eindrücklich auf, wie sich damit die Lebensqualität der Bewohnerinnen und Bewohner verbessern lässt. Die Flexibilisierung der Verpflegungsleistungen ist ein Gebot der Stunde. Ein Forschungsprojekt der ZHAW will die Institutionen in diesem Prozess unterstützen. Von Elisabeth Seifert « Wir sind für die Bewohnenden da, nicht für uns selbst» Es war eine eigentlich recht unspektakuläre Änderung, die dann aber eine ganz neue, positive Dynamik ausgelöst hat: Vor rund einem Jahr ist im Alters- und Pflegeheim Rosenpark in Gersau SZ auf Initiative von Pascal Bühler, dem stellvertretenden Küchenchef, die Essenszeit am Mittag erweitert worden. Die rund 60 Bewohnerinnen und Bewohner können seither irgendwann zwischen 11 und 13.30 Uhr zu Mittag essen, egal ob in der Cafeteria oder auf der Demenzabteilung. Zuvor war dies nur von 11.30 bis 12.30 Uhr möglich. Die Zeiten für das Frühstück wurden im Gegenzug etwas reduziert, von 7.15 bis 9 Uhr (statt bis 9.30 Uhr). Die Folgen dieser erhöhten Flexibilisierung sind erstaunlich: Nicht nur, dass die Bewohnerinnen und Bewohner die verlängerten Essenszeiten voll ausnützen und zum Beispiel erst nach einem ausgedehnten Spaziergang (oder nach einem Skirennen) in der Cafeteria erscheinen – sie bleiben auch länger sitzen. «Früher war der Speisesaal um 12.30 Uhr leer», erinnert sich Pascal Bühler. «Jetzt bleiben die Leute da, jassen und reden miteinander, bis 13.45 oder 14 Uhr.» Einige bleiben sogar bis am Abend, während andere um 15 oder 16 Uhr wieder kommen, um einen Kaffee zu trinken oder die Zeitung zu lesen. «Es lebt heute viel mehr», freut sich Initiant Bühler – und angesprochen auf die Gründe meint er: «Die Leute merken, dass wir auf ihre Wünsche eingegangen sind, dass sie willkommen sind und wir sie nicht so rasch wie möglich wieder loswerden wollen.» Immer wieder finden auch angeregte Diskussionen zwischen der Küche und den Bewohnerinnen statt, über das Essen und andere Themen. «Diese Gespräche müssen wir zwischendurch auch mal abklemmen, weil wir ja auch noch arbeiten sollten», stellt Bühler lachend fest. Und: «Die Bewohnerinnen und Bewohner sind sehr dankbar für das, was wir für sie tun.» Bessere Leistung bei gleichen Kosten In der Zwischenzeit ist die verstärkte Flexibilisierung auch beim Abendessen eingeführt worden, das neu von 17 bis 18.30 Uhr serviert wird (statt von 17.30 bis 18.00 Uhr). Angefangen hat alles damit, dass Pascal Bühler während des Lehrgangs Koch/Köchin in sozialen Institutionen von Artiset Bildung im Herbst 2022 einen Tag lang in der Pflege des «Rosenparks» mitgearbeitet hat, um die Gastronomieleistungen aus einer anderen Perspektive zu erleben. Mehrere Bewohnerinnen und Bewohner, die er zum Mittagessen begleitet hat, sagten ihm, dass sie eigentlich gar keinen Hunger hätten, weil sie gerade

ARTISET 01/02 I 2024 19 erst gefrühstückt haben. In Rücksprache mit den Pflegenden stellte er fest, dass es täglich zu solchen Rückmeldungen kam. Bühler: «Die betroffenen Bewohnenden haben oft nur eine Suppe gegessen, was schnell eine Mangelernährung oder sogar eine Unterernährung zur Folge haben kann.» Das Thema begann ihn immer mehr zu faszinieren, zumal er bereits an einem früheren Arbeitsort festgestellt hatte, dass flexiblere Essenszeiten und die damit verbundene Wahlfreiheit dazu beitragen können, dass gerade auch Menschen mit Demenz aktiver werden. Schnell war die Idee geboren, die Flexibilisierung von Verpflegungsleistungen zum Thema seiner Abschlussarbeit zu machen. Zunächst brauchte es allerdings noch etwas Überzeugungsarbeit, vor allem aufseiten der Heimleitung, die ihre Zustimmung unter anderem von einer Befragung der Mitarbeitenden abhängig machte. Bühler: «Bis auf wenige Ausnahmen haben sich alle rund 80 Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter dafür ausgesprochen.» Mindestens so wichtig war für ihn eine Umfrage bei den Blick in den Speisesaal des «Rosenparks»: Um 11 Uhr kommen die ersten Bewohnerinnen und Bewohner zum Mittagessen. Die Mahlzeiten werden bis 13.30 Uhr serviert. Fotos: Rosenpark «Es lebt heute viel mehr. Die Leute merken, dass wir auf ihre Wünsche eingegangen sind, dass sie willkommen sind und wir sie nicht so rasch wie möglich wieder loswerden wollen.» Pascal Bühler, stellvertretender Küchenchef Bewohnenden. Gemeinsam mit dem Küchenchef nützte er den regelmässig stattfindenden Bewohnenden-Höck, um deren Meinungen abzuholen und über das Vorhaben zu informieren. «Wir erlebten einen Gänsehautmoment», sagt Bühler und man spürt ihm noch heute an, wie sehr ihn dieses Erlebnis damals ergriffen hat. «Rund zwei Drittel aller Bewohnenden waren anwesend, was ich noch nie erlebt habe, und wir schauten in lauter glückliche Gesichter.» Bühler stellte daraufhin eine Projektgruppe zusammen, mit den Leitenden sämtlicher Pflegeheimabteilungen. «Auf diese Weise erreichten wir, dass wir alle vom Gleichen reden und dass wir uns alle auf dem gleichen Weg befinden.» In den Diskussionen mit den am Projekt Beteiligten betonte er dabei immer wieder: «Wir sind für die Bewohnerinnen und Bewohner da, nicht für uns selbst.» Und dennoch: Die neue Organisation berücksichtigt auch die Bedürfnisse der Mitarbeitenden. Um die längeren Essenszeiten am Mittag und am Abend ohne zusätzliches Personal zu stemmen, hat die Projektgruppe unter der Leitung

20 ARTISET 01/02 I 2024 ‣ Gesundheit Weiterbildung an der BFH CAS Gerontologie – Alter(n) mitgestalten | Start: Mai 2024 CAS Forensic Nursing in der Pflege | Start: November 2024 Fachkurs Ältere Menschen und Angehörige systemisch und ressourcenorientiert beraten | Start: April 2024 Fachkurs Führen und geführt werden – erlebt und gelebt Start: Oktober 2024 Kurs Projektcoaching und Prozessbegleitung | Start: September 2024 bfh.ch/gesundheit/weiterbildung 02_WB_INA_PFL.indd 1 10.01.2024 13:45:21 Anzeige und dabei Lärm und Unruhe zu verursachen, gibt es Tellerservice. Seit Längerem bereits arbeitet die Küche mit neuen technologischen Möglichkeiten, um die Produkte so gesund und gleichzeitig so effizient wie möglich zuzubereiten, was eine breitere Auswahl an Gerichten ermöglichen soll. Gerade eben, per 1. Februar 2024, wird neben den gängigen Menüs ein veganes Gericht angeboten. «Praktisch jeden Monat gibt es irgendetwas Neues», so Bühler. «Manchmal müssen wir uns selbst bremsen, um uns nicht zu überfordern.» Der «ganz grosse Schritt» werde ohnedies erst dann möglich, sobald der geplante Neubau realisiert sei. Die Planungen für den Bereich Gastronomie, den Pascal Bühler dann übernehmen wird, laufen aber bereits auf Hochtouren. Neben einer Diät- und einer Produktionsküche wird es dort eine Frontküche geben, wo die Speisen erwärmt und angerichtet werden und die Bewohnenden in einen unkomplizierten Austausch mit der Küche treten können. Zudem werden die eher starren Menüs durch frei wählbare Module aus den drei Bereichen Kohlehydrat-Beilagen, Gemüse sowie Fisch-Fleisch-Vegi/Vegan ersetzt. «Die Bewohnenden sollen ihre Menüs gemäss ihren Vorlieben und Bedürfnissen selbst zusammenstellen können.» Individuellen Ansprüchen genügen Die Notwendigkeit, sich mit flexiblen Verpflegungsleistungen immer besser an den Bedürfnissen der Bewohnerinnen und Bewohner zu orientieren, dürfte in Zukunft an Bedeutung gewinnen. Dies macht gerade auch die Forschungsarbeit einer Gruppe von Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler am Institut für Facility Management der ZHAW deutlich. «Die Seniorinnen und Senioren, die in den kommenden Jahren in die Pflegeheime eintreten werden, haben sehr individuelle Ansprüche», sagt Professor Thorsten Merkle, Leiter der Kompetenzgruppe Hospitality und Service Management am Institut. «Der Wunsch nach Selbstbestimmung zieht sich durch das ganze Leben der Babyboomer-Generation und hört auch nicht einfach auf, wenn sie im höheren Alter auf Pflege angewiesen sind.» Mit Blick auf ein grösser angelegtes Forschungsprojekt hat Thorsten Merkle gemeinsam mit seinen Kolleginnen und Kollegen Experteninterviews sowie eine Umfrage bei Alters- und Pflegeheimen durchgeführt, um die sich verändernde Nachfrage von Bewohnenden in Erfahrung zu bringen sowie die Bedingungen, unter denen die Heime ihre Dienstleistungen erbringen. In erster Linie sind dies der Arbeitskräftemangel sowie beschränkte finanzielle Ressourcen, aber auch – gleichsam aufseiten der Chancen – die Möglichkeiten infolge der Digitalisierung. Die aufgrund der Befragungen erstellte Vorstudie heisst denn auch von Pascal Bühler für die Küchenmitarbeitenden die bei vielen unbeliebten Zimmerstunden respektive geteilten Dienste abgeschafft. In der Zwischenzeit haben auch alle anderen Abteilungen auf eine Arbeitsplanung ohne solche Dienste umgestellt. Offen sein für fortlaufende Anpassungen Mit den flexibel gestalteten Essenszeiten war und ist es aber noch nicht getan. Bühler: «Wir kamen in der Projektgruppe zum Schluss, dass wir nichts in Stein meisseln dürfen und offen sein müssen für laufende Anpassungen.» Neben den erweiterten Verpflegungszeiten zu Mittag und am Abend hat Bühler den Suppen-Service neu organisiert. Statt mit einem Wagen durch den Speisesaal zu fahren Im Fokus

ARTISET 01/02 I 2024 21 «Erhöhung des Wohlergehens von Bewohnenden in Alters- und Pflegeheimen durch Flexibilisierung der Verpflegungsleistungen mithilfe von Technologie». Die Bewohnenden werden vermehrt selbst entscheiden wollen, wann und wo sie essen möchten, fasst Merkle zentrale Resultate der Befragung zusammen. Es brauche zudem eine breitere Menüauswahl respektive eine flexiblere Menügestaltung: «Die Seniorinnen und Senioren wollen zudem vermehrt auf Hintergrundinformationen zu den Nahrungsmitteln zugreifen können und ihre Vitalfunktionen managen.» Die neuen technologischen Möglichkeiten nutzen Es lohne sich, solchen Bedürfnissen zu entsprechen, betont Merkle. «Ernährung trägt viel zu Gesundheit und Wohlbefinden bei», wie der Wissenschaftler gerade auch aus Projekten mit Spitälern weiss. Um den zunehmend vielfältiger werdenden Ansprüchen gerecht zu werden, bieten die neuen technologischen Möglichkeiten eine grosse Unterstützung, so Merkle – gerade auch vor dem Hintergrund knapper finanzieller und personeller Ressourcen. Um die Alters- und Pflegeheime in diesem Prozess zu unterstützen, wird die Forschungsgruppe an der ZHAW rund um Thorsten Merkle im Frühling ein entsprechendes Projekt beantragen. «Wir wollen gemeinsam mit Pflegeheimen Lösungen entwickeln, die die geforderte Flexibilität bieten.» Es gehe dabei wesentlich darum, verschieden geartete Bewohnerbedürfnisse und auch die unterschiedlichen Grössen und Strukturen der Institutionen zu berücksichtigen. Thorsten Merkle: «Wir möchten spezifische Lösungen für verschiedene Typen von Heimen und Bewohnendengruppen erarbeiten.» Bereits im Prozess der Antragsstellung wird das Projekt von einem Beirat begleitet, der sich aus Fachleuten aus allen Landesteilen zusammensetzt, unter anderem aus Heimen oder dem Seniorenrat. «Wir stellen ein sehr grosses Interesse fest», freut sich Merkle. Es hätten sich auch bereits Institutionen gemeldet, die sich am Projekt beteiligen möchten. «Wir wollen gemeinsam mit Pflegeheimen Lösungen entwickeln, welche die geforderte Flexibilität bieten.» Thorsten Merkle, Professor am Institut für Facility Management der ZHAW Das Pflegeheim Rosenpark in Gersau: Die Flexibilisierung der Dienstleistungen trägt viel zum Wohlbefinden bei.

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