Magazin ARTISET_9-2022_Politische Partizipation

ARTISET 09 I 2022 37 investieren. Was ich sagen möchte: Eine Überversorgung besteht sicher nicht in der Langzeitpflege, sondern anderswo, und diese sollte man reduzieren. Leser: Zudem brauchen wir eine gesellschaftliche Wertedebatte. Jeder und jede muss wissen, was passiert, wenn sie im hohen Alter multimorbid werden. Das Problem besteht darin, dass die Politik und die Gesellschaft den multimorbiden Menschen nicht ernst nehmen, weil er für die Gesellschaft nicht mehr produktiv ist und es auch nie mehr sein wird. Wir verdrängen das Alter. Dagegen müssen wir ankämpfen. Höchli: Es gibt kein Patentrezept. Wir müssen immer wieder sensibilisieren. Die Klimadebatte macht das deutlich. Es braucht enorm viel, um politische Einstellungen und das Verhalten zu ändern. Nicht zuletzt aus finanziellen Gründen wird auch immer wieder der Einbezug der Zivilgesellschaft gefordert. Was sagen Sie dazu? Höchli: Es wird sehr teuer, wenn die Begleit- und Betreuungsarbeit fast ausschliesslich durch Fachpersonen geleistet wird. Es braucht hier Angehörige, Nachbarn und Freiwillige. Der Einbezug der Zivilgesellschaft trägt darüber hinaus aber auch zur Lebensqualität bei. Das wird ja auch in Curaviva-Modell «Wohnen im Alter» deutlich. Der Einbezug der Zivilgesellschaft stellt die Integration in die Gesellschaft sicher. Und schliesslich kann dadurch auch der Fachkräftemangel etwas entschärft werden. Damit sich aber genügend Freiwillige finden, müssen wir ein Anreizsystem schaffen. Leser: Ja, das sehe ich auch so. Freiwilligenarbeit ist kein Selbstläufer. Anreize könnten zum Beispiel inWeiterbildungen bestehen. Es braucht auch eine Moderation, um die verschiedenen Teile der Zivilgesellschaft, also Angehörige, Nachbarn und Freiwillige, zusammenzubringen. Darüber hinaus müssen alle Akteure, professionelle und nicht-professionelle, in einem Gesamtsystem zusammengeführt werden. Auch die interprofessionelle Zusammenarbeit, also die Zusammenarbeit zwischen den verschiedenen Berufsgruppen, ist von zentraler Bedeutung. Neben der Finanzierung ist der Fachkräftemangel eine grosse Herausforderung… Leser: Es muss uns als Branche gelingen, das Image der Langzeitpflege zu verbessern. Zudem arbeiten wir derzeit an einem Projekt, wo wir gemeinsam mit jungen Menschen neue Arbeitszeitmodelle entwickeln. Wichtig scheint mir aber auch ganz besonders, dass wir finanzielle Anreize schaffen, zum Beispiel im Rahmen von Weiterbildungen. Grössere Pflegeheime, die über einen bestimmten finanziellen Spielraum verfügen, machen das bereits. Höchli: Gerade in Zeiten einer guten Konjunktur, wo der Arbeitsmarkt generell ausgetrocknet ist, braucht es finanzielle Anreize, um konkurrenzfähig zu sein. Ohne einen finanziellen Spielraum können die Arbeitgeber die Attraktivität nur minimal erhöhen. Wichtige Faktoren sind aber auch eine gute Arbeitsorganisation oder das Betriebsklima. Dazu gehört etwa auch das Anbieten einer Kita. Was unternehmen die Föderation Artiset und der Branchenverband Curaviva, damit die Langzeitpflege und -betreuung langfristig gesichert ist? Höchli: Artiset unterstützt den Branchenverband in allen Anliegen. Zurzeit sind wir stark engagiert beim Thema Fachkräfte, konkret bei der Umsetzung der Pflegeinitiative. Damit werden wir aber längst nicht alle Probleme lösen. Das Problem ist umfassend und betrifft neben der Pflege auch den Sozialbereich. Weiter setzen wir uns für den Einbezug der Pflege in die Vorlage zur einheitlichen Finanzierung des ambulanten und stationären Bereichs ein. Und was die Zusatzfinanzierung zum Beispiel mittels einer Erhöhung der Mehrwertsteuer betrifft: Hier suchen wir mögliche Partner, um dieses Anliegen in der Politik einzubringen. Leser: Der Branchenverband ist in all die politischen Projekte stark eingebunden. Zudem präzisieren und konkretisieren wir unsere Vision «Wohnen im Alter». Mittels Medien- und Öffentlichkeitsarbeit wollen wir die Gesellschaft dafür sensibilisieren, die integrierte Versorgung im Bereich der Langzeitpflege auch tatsächlich umzusetzen. * Markus Leser ist Mitglied der Geschäftsleitung Artiset und Geschäftsführer des Branchenverbands Curaviva. Curaviva setzt sich für die Anliegen der Dienstleister für Menschen im Alter ein. Daniel Höchli ist Geschäftsführer der Föderation Artiset mit ihren drei Branchenverbänden Curaviva, Insos und Youvita. Artiset unterstützt alle Branchenverbände der Föderation in zentralen Themen wie zum Beispiel Fachkräfte oder Finanzierung der Dienstleistungen. Aktuell

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