Gesund und lustvoll essen Magazin ARTISET 1-2024

ARTISET 01/02 I 2024 13 Gibt es nicht auch unterschiedliche Anforderungen an die Küche, je nachdem, ob eine soziale Institution Menschen im Alter, Menschen mit Behinderung oder Kinder und Jugendliche begleitet? In den Pflegeheimen kann man als Koch oder Köchin direkter wirken, weil in der Regel alle Mahlzeiten aus der Küche heraus gesteuert werden. In Institutionen für Menschen mit Behinderung und auch für Kinder und Jugendliche produziert die Küche oft nur einen Teil der Verpflegung. Neben der Küche spielen bei der Zubereitung des Essens auch Betreuungspersonen der Pflege oder Sozialpädagogik auf den Wohngruppen eine zentrale Rolle. Und anders als im Pflegeheim essen die begleiteten Menschen oft auch nicht nur in der Institution? Sie verbringen den Tag oft in einer Tagesstruktur oder einer Schule. In der Institution gibt es dann nur das Frühstück, und am Abend kochen in den Wohngruppen die Sozialpädagoginnen und Sozialpädagogen oft selbst mit den Bewohnenden. Wenn es um die Qualität der Ernährung in Institutionen für Menschen mit Behinderung und für Kinder und Jugendliche geht, spielt deshalb ganz besonders das Empowerment des Umfelds, also die Befähigung der Betreuungs- und Fachpersonen, eine zentrale Rolle. Sind vor allem in den Pflegeheimküchen die absoluten Kochprofis gefordert, um auf die verschiedensten gesundheitlichen Probleme eine gute Antwort zu finden? Ein zielgruppengerechtes Ernährungswissen ist in Institutionen aller Unterstützungsbereiche von Bedeutung, ganz besonders in grossen Einrichtungen mit entsprechend vielen unterschiedlichen Bedürfnissen. Im Altersbereich ist die Situation dabei sogar noch recht übersichtlich: Hier muss die Küche die verschiedenen Konsistenzstufen bis hin zur pürierten Kost beherrschen und mit Diabetes, Mangelernährung, salzarmer Kost sowie der Lactose- und Glutenunverträglichkeit umgehen können. In Institutionen für Menschen mit schweren mehrfachen Behinderungen muss die Küche auf zum Teil sehr spezifische und hochkomplexe Ernährungsbedürfnisse eingehen können. Sie haben betreffend Behinderten- sowie Kinder- und Jugendinstitutionen das Empowerment des Umfelds genannt. Was meinen Sie damit genau? Für die Betreuungspersonen in einer sozialen Institution ist das Thema Ernährung weniger zentral, ja manchmal auch mit Frust verbunden. Dies deshalb, weil sie zum einen darauf achten sollen, dass sich die Bewohnenden gesund ernähren, und zum anderen ihnen aber auch die Freiheit lassen wollen, selbst bestimmen zu können, was sie essen möchten. Als Sozialpädagoge oder Sozialpädagogin steht man da in einem Spannungsfeld. Hinzu kommt, dass sie selber vielleicht auch nicht gut kochen können, dabei aber immer wieder Kochaufgaben übernehmen müssen. Und diese Herausforderungen lassen sich mit der Befähigung des Umfelds lösen… Ja, und zwar geht es darum, sowohl die Fachpersonen also auch die Bewohnenden für eine gesunde Ernährung zu sensibilisieren. Dies gelingt, wenn Betreuungspersonen das Thema Essen und Ernährung in einem spielerischen und lustvollen Sinn in die Alltagsaktivitäten einbauen. Das können Blinddegustationen mit Früchten sein oder die gemeinsam Menüplanung, wo durchaus auch Junkfood-Tage Platz haben können. Ganz wichtig ist auch die Vorbildwirkung. Wer zur Pause ein Red Bull trinkt, kann den Klientinnen und Klienten nicht gleichzeitig Äpfel verteilen. Wo sehen Sie die besonderen Anforderungen an Institutionen im Kinder- und Jugendbereich? Bei Kindern haben wir unter anderem die Aufgabe, das Geschmacksempfinden zu prägen. Essen soll eine Forschungsreise sein, beim Geschmack, bei der Konsistenz und beim Aussehen. Es geht darum, das Interesse über ein vielfältiges, ausgewogenes und dem jeweiligen Alter der Kinder entsprechendes Angebot zu wecken. Ganz wichtig: Die Menüs und Gerichte werden vorgegeben, was probiert wird, entscheiden die Kinder selbst. Sie sollen aber auch Chicken Nuggets und Pommes frites essen können. Ganz wichtig ist weiter die Gestaltung des Essens: Eine ruhige und achtsame Atmosphäre kann gerade bei Kindern und Jugendlichen viel zur Stabilisierung in schwierigen Lebenssituationen beitragen. Auch in diesem Kontext ist die Vorbildfunktion der Betreuungspersonen zentral, da Kinder viel über Nachahmung lernen. Wie ist es möglich in Zeiten des Fach- und Arbeitskräftemangels, der Pflegeheime und soziale Institutionen generell stark fordert, all den Ansprüchen gerecht zu werden? Für eine gute Verpflegung zu sorgen, das liegt letztlich in der Verantwortung der Institutionsleitung. Sie muss alle am Verpflegungsprozess Beteiligten an einen Tisch bringen, auch die Verantwortlichen in der Küche, und den Austausch unter all den verschiedenen Berufsgruppen fördern. Und zwar unabhängig von einer bestimmten Personalsituation. Nur wenn die Küche, die Pflege und auch die Hauswirtschaft eingebunden sind, lässt sich eine hohe Lebensqualität für die Bewohnerinnen und Bewohner erzielen. * Christoph Roos ist Bildungsbeauftragter Gastronomie/Selbst- und Sozialkompetenz bei Artiset Bildung.

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