Magazin ARTISET_9-2022_Politische Partizipation

ARTISET 09 I 2022 27 08:35 dienst und Wählen. «Wichtig ist das Empowerment: Für Veränderungen braucht es Kompetenz!» Darum findet sie Demokratie so wertvoll und den Tag der Demokratie vom 15. September so passend: «Das darf man auch mal feiern!» Sie freut sich, dass aus dem Kanton Bern praktisch alle Gymnasien ein Demokratieprojekt eingegeben haben (siehe Hinweis): Ausstellungen, Diskussionen oder Workshops aller Art. Ob auch Institutionen mit dabei sind? Sie überlegt gründlich, checkt ihre Unterlagen und schüttelt dann den Kopf: «Die Plattform steht auch für sie offen, und wir würden uns über Eingaben freuen, aber bisher hatte ich leider noch kaum Kontakt zu Institutionen.» Das hat naheliegende Gründe. Nicole Wolschendorf, Heimleiterin der Wohngruppe Rose in Heiden AR, legt zwar grossen Wert darauf, den jungen Frauen ihrer Sozialpädagogischen Wohngruppe Instrumente zu vermitteln, die ihnen Selbstwirksamkeit und Partizipation ermöglichen. «Wir arbeiten an Themen wie Frustrationstoleranz, Emotionsregulation, Gruppenbildung, gemeinsamen Zukunftsvisionen oder Verantwortung», erklärt sie. «Und wir üben, wie sie Themen sammeln, priorisieren und einbringen und am Ende zu einem Konsens gelangen können.» Aber viele der jungen Frauen zwischen 13 und 18 Jahren sind traumatisiert, und Fragen der «grossen» Politik sind für die meisten noch kein Thema. Eigene Themen statt Frauenstreiktag Das merkt Nicole Wolschendorf jeweils, wenn sie in der Wohngruppe am 8. März den Frauentag thematisieren. Auch als ihre Mitarbeiterinnen mit den jungen Frauen nach St. Gallen an den Frauenstreiktag reisten, hätten die meisten gar nicht richtig gemerkt, worum es dabei ging: «Einige waren schlicht zu jung, und vor allem haben alle so viele eigene Themen und Entwicklungsschritte zu bewältigen, dass ihnen allgemeine Frauenthemen jetzt noch zu weit entfernt sind.» Einmal habe bisher eine Jugendliche in der Rose gewohnt, die Mitglied bei der Juso St. Gallen war und versuchte, mit Mitbewohnerinnen ein wenig politisch zu diskutieren. Aber das sei die absolute Ausnahme. Politische Bildung in der Wohngruppe Rose findet deshalb vor allem mit den Grundlagen statt: «Wie kann ich meine eigene Meinung bilden, äussern und vertreten?», seien wichtige Punkte. Und vor allem: «Wie tue ich kund, wenn mich etwas stört, ohne andere anzugreifen?» Die Stichworte, auf die Nicole immer wieder zurückkommt, lauten: «Persönliche Entwicklung und Autonomieförderung» und «Partizipation durch Information, Mitbestimmung oder Mitwirkung». Dafür wendet das Rose-Team Methoden an wie Traumapädagogik, die durch die verständnisvolle Haltung und Transparenz auch mehr Partizipationsmöglichkeiten gewährt. Oder Transaktionsanalyse, bei der man eigene Muster erkennt und verändert. Und Erlebnispädagogik, die verborgene Ressourcen sichtbar macht und dadurch den jungen Frauen hilft, das bisherige Verhalten zu verändern und weiterzuentwickeln. «Unsere Klientinnen sollen eine innere Sicherheit entwickeln und lernen, sich kongruent zu verhalten», fasst Nicole Wolschendorf zusammen. Freude wecken am Engagement Laut Carol Schafroth von Campus für Demokratie ist dieser Weg auch die beste Grundlage, Jugendliche politisch zu bilden: «Wichtig sind Partizipation und Verantwortung im Alltag.» Sie hört oft, dass in Schulen die Grundverfassung oder Parteikunde als Einstieg in die politische Bildung gewählt werde. Das findet sie schade, weil viele Jugendliche sich dann schon ausklinken. «Natürlich ist beispielsweise die gegenwärtig anstehende AHV-Revision besonders für die Jungen enorm wichtig», sagt sie. «Aber sie ist auch sehr weit entfernt.» Geeigneter für den Einstieg seien naheliegende Themen, verständliche Worte und vielfältige Wege. Um Lehrpersonen oder Institutionen beim Thema politische Bildung zu unterstützen, sammelt Campus für Demokratie als Drehscheibe Themen und Material, organisiert Anlässe und vermittelt Expertinnengruppen oder Infomaterial. Oder regt ganz einfach zu neuen Ideen an. Möchte sich jemand beispielsweise für einen Veloweg starkmachen, erklärt Schafroth, gebe es dafür nicht nur die Möglichkeit, eine politische Eingabe zu machen: «Wir möchten den Jugendlichen aufzeigen, dass sie auch einen Brief an den Gemeinderat schreiben, sich bei ProVelo engagieren oder eine eigene Interessengruppe bilden könnten.» Das sei ein einfacher Einstieg in die Politik und wecke Freude daran, sich für wichtige Fragen zu engagieren. Ein Parteibeitritt zu Juso, Jungen Grünen oder Junger SVP steht dann immer noch offen, ist aber nicht Bedingung dafür, sich politisch zu engagieren. ➞ www.tagderdemokratie.ch ➞ www.wohngrupperose.ch > Leitbild DER BEUTELSBACHER KONSENS FÜR SCHULEN ■ Das Überwältigungsverbot hält fest, dass Lehrpersonen die Schülerinnen und Schüler nicht indoktrinieren dürfen. ■ Das Kontroversitätsprinzip besagt, dass auch in der Schule kontrovers behandelt werden muss, was in der Gesellschaft kontrovers diskutiert wird. ■ Die Schülerorientierung verlangt, dass Schülerinnen und Schüler befähigt werden, damit sie auch eigene Werte und Interessen analysieren können und so die politische Situation beeinflussen lernen. Projekte und Infos für politische Bildung in der Schule: ➞ campusdemokratie.ch Im Fokus

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