Erfahrungen teilen

ARTISET 12 I 2022 23 es herrsche ein freundliches, vertrauensvolles Klima. «Ausserdem bekomme ich sowohl von Mitarbeitenden als auch von Bewohnenden öfters positives Feedback, wie wertvoll die Peer-­ Arbeit für sie ist.» Auch Pedro Codes merkt immer wieder, wie gut die Bewohnerinnen und Bewohner auf sein Angebot ansprechen: «Sie vertrauen mir, weil ich auch zugebe, dass es mir nicht immer gut geht – und weil ich zeige, wie ich damit umgehe.» Er könne aus eigener Erfahrung den Leuten näherbringen, dass es okay sei, nicht immer okay zu sein. Auch wenn sein Gegenüber und ihn nicht dieselbe Krankheitsgeschichte verbinde, hätten sie immer ein gemeinsames Minimum: «Wir haben Erfahrung mit Leiden, Klinikaufenthalten, Medikamenten und Diagnosen», sagt er. «Und wir kennen das Gefühl, mit einem Stigma zu leben.» Fürsprecher der Bewohnenden Für Ursula von Bergen ist es heute selbstverständlich, dass Peers fix zum Beratungsteam gehören: «Das ist ein Zeichen dafür, wie wichtig uns Selbstwirksamkeit für unsere Bewohnerinnen und Bewohner gemäss den Forderungen der Uno-BRK ist.» Sie koordiniert die Peer-Arbeit, damit das Angebot für das ganze Haus verfügbar ist. Im Alltag muss Pedro Codes allerdings ab und zu nach der Balance seiner Aufgabe suchen: «Auch wenn ich von der Institution angestellt bin, muss ich dennoch eine kritische Haltung behalten: Ich bin der Fürsprecher der Bewohnenden!» Ursula von Bergen nickt. Das sei sehr wichtig, sagt sie, genau diese Haltung habe auch bei ihr ein noch tieferes Verständnis für die Bewohnenden geweckt. Sie findet es deshalb auch wichtig, dass die Peers laufend Weiterbildungen besuchen, einen Austausch mit anderen Recoverygruppen beispielsweise oder Fachtagungen: «Das Angebot muss sich weiterentwickeln und die Peers damit.» Im Schlossgarten sei man sich bewusst, dass viele psychisch belastete Menschen in einem Haus nicht ideal seien und dass es einen tiefgehendenWandel brauche: institutionelle Veränderungen, neue Wohnformen, ermöglichende Haltung, Prozessbegleitung statt Fürsorge. Und: «Peers sollte es überall geben, es braucht Menschen, die ihre Erfahrung zur Verfügung stellen und zeigen, dass man mit oder trotz bestimmten Diagnosen ein gutes Leben führen kann.» Pedro Codes seinerseits schätzt, dass er gefördert wird. «Es braucht jedoch viel mehr Ausbildungs- und Arbeitsplätze für Peers, da diese helfen, den Menschen als Individuum mit allen Teilen zu sehen.» Im Schlosspark plätschert der Springbrunnen, Herbstblätter segeln zu Boden. Pedro Codes und die Bewohnerin haben sich für den Rest ihres Gesprächs auf eine Parkbank gesetzt, beide wirken entspannt. Eine beruhigende Umgebung sei hilfreich, erklärt Codes später. Die Leute melden sich jeweils von sich aus bei ihm, weil sie beim Eintrittsgespräch von diesem Angebot erfahren haben, oder jemand von der Pflege empfiehlt ihnen ein Peergespräch – oder fragt an, ob die Peers sich beim Bewohner melden können. Die Themen, sagt Codes, seien dann völlig offen: «Jemand wünscht, dass es ihm besser geht, ein anderer hat Sorgen, weil zwei nahestehende Personen im Spital sind, und die dritte Person hat endlich eine Therapeutin gefunden, die sie in ihrer Landessprache behandelt.» Wenn jemand etwas Wichtiges erreicht, findet er das jeweils besonders schön, solche Erfolge feiert er mit den Leuten. Die beste Rückmeldung für ihn ist, wenn sich jemand für die nächste Woche wieder zum Gespräch anmeldet. Oft endet die Peerberatung erst, wenn jemand auszieht, so wie demnächst ein Bewohner, der seit Codes’ allererstem Arbeitstag bei ihmUnterstützung suchte. «Etliche Bewohnerinnen und Bewohner nehmen unsere Peers als Vorbild und wollen selbst auch Peers werden», weiss Ursula von Bergen. Deshalb erhalten die Peers auch weitgehend freie Hand, wenn sie neue Ideen einbringen wie den Vorschlag, monatliche Filmabende zu veranstalten: Bis zu 20 Zuschauerinnen und Zuschauer schauen sich zusammen die Filme an, die einen Zusammenhang mit dem Recovery-Gedanken haben, wie den deutschen Kinofilm «Vincent will Meer». Nach dem Kinoerlebnis samt Popcorn bleiben viele noch zur Diskussionsrunde. «Solche Abende vermitteln Normalität, Selbstwirksamkeit und Selbstbestimmung», fasst Codes zusammen. Noch seien sie längst nicht dort, wo sie hinwollten, aber Peerarbeit sei ein guter Schritt. Wichtige Selbstfürsorge Draussen wird es kühler, die Sonne schickt die letzten flachen Strahlen über das Dach des Wohnhauses. Pedro Codes’ Beratungsspaziergang ist zu Ende. Er verabschiedet sich von der Bewohnerin, dann setzt er sich kurz zu Ursula von Bergen an einen Tisch, um ein paar offene Fragen zu klären. Danach hat er Feierabend. Und Zeit, sich um seine eigenen Themen zu kümmern: Fitness, Gesundheit und persönliche Weiterentwicklung als Mensch liegen ihm am Herzen, dabei kann er sich nach den Gesprächen erholen. Nach einer grossen Krise vor fünf Jahren achtet der 44-Jährige noch mehr darauf, seine Wünsche und Träume zu verwirklichen: Wenn er gut auf sich und seine Bedürfnisse achtet, hilft das nicht nur ihm, sondern auch den Bewohnerinnen und Bewohnern des Schlossgarten Riggisberg. Viele freuen sich schon auf ihren wöchentlichen Peer-Termin, um sich von Pedro Codes oder Daniela Wegmüller und ihrem Weg anregen zu lassen. ➞ www.schlogari.ch Im Fokus

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