Bedürfnisgerecht bauen

ARTISET 03 I 2023 3 Editorial «Auch in der Gestaltung grösserer Häuser lassen sich Maximen wie Selbstbestimmung und Teilhabe umsetzen.» Elisabeth Seifert, Chefredaktorin Liebe Leserin, lieber Leser Sich mit architektonischen Ideen zu beschäftigen, Baupläne zu studieren, die Umsetzung eines Bauvorhabens zu begleiten und dann die Realisierung erleben zu dürfen: Das ist ein Privileg, besonders wenn es um Bauten geht, die den öffentlichen Raum prägen. Dazu gehören Bauvorhaben, die Menschen mit Unterstützungsbedarf, Betagten, Menschen mit Behinderung sowie Kindern und Jugendlichen ein Zuhause geben. Für Trägerschaften und Institutionsleitungen als Bauherren solcher Projekte bringt dieses Privileg grosse Verantwortung mit sich. Neubauten, Umbauten oder Sanierungen erfordern hohe finanzielle und personelle Ressourcen. Wenn sich die Investitionen lohnen sollen, müssen sie den spezifischen Bedürfnissen der begleiteten Menschen entsprechen. In der Begleitung und Betreuung erleben wir derzeit über alle Unterstützungsbereiche hinweg einen grundlegenden Wandel: weg von der fremdbestimmten Fürsorge und hin zur Förderung eines selbstbestimmten, möglichst autonomen Lebens und der Teilhabe an der Gesellschaft. Gefragt sind vielfältige, durchlässige und im Sozialraum verankerte Angebote. Zukunftsfähige Bauprojekte müssen diesenWandel berücksichtigen. Es gibt derzeit zahlreiche spannende Projekte, von denen wir in unserem Fokus einige porträtieren, um Sie zu inspirieren: In der Begleitung älterer Menschen noch wenig verbreitet ist die Wohngemeinschaft, wo individuelle Bedürfnisse besonders gut berücksichtigt werden können. Im inklusiven Quartier Westfeld Basel sowie auf einem Hügel oberhalb von Yverdon sammeln zwei Leistungserbringer erste Erfahrungen damit (Seiten 6 und 9). Etablierter sind Wohngemeinschaften respektive Wohngruppen im Sozialbereich: Am Beispiel einer Aussenwohngruppe des Schulheims Elgg wird deutlich, welch grossen Einfluss die Innenarchitektur auf das Wohl der Jugendlichen hat (Seite 12). Auch in der Gestaltung grösserer Häuser, wo zunehmend vor allem Menschen mit einer hohen Betreuungs- oder Pflegeintensität leben, lassen sich Maximen wie Autonomie und Teilhabe umsetzen. Eindrücklich ist ein derzeit entstehender Neubau des Wohnheims Sonnegarte in St. Urban fürMenschenmit mehrfachen Behinderungen. IhreWünsche und Anliegen fliessen in die Planungen mit ein (Seite 25). Individuelle Freiheit trotz schwerer Behinderung ermöglicht auch der Park der Stiftung Pigna in Kloten (Seite 22). Das Beispiel der vor wenigen Jahren eröffneten Seniorenresidenz Les Hirondelles in Clarens macht deutlich, wie sich mit gestalterischen Elementen trotz komplexer Pflegebedürfnisse eine wohnliche Atmosphäre und Bewegungsfreiräume schaffen lassen (Seite 15). Architekt Bruno Marchand erläutert im Gespräch zentrale Aspekte einer guten Pflegeheim-Architektur (Seite 19). Um im Sozialraum verankerte Unterstützung leisten zu können, ist – neben den Leistungserbringern selbst – die Gesellschaft als Ganzes gefragt. Beispiel dafür sind inklusiv gestaltete und organisierte Überbauungen wie das eingangs erwähnte Westfeld Basel oder das Quartier der Wohnbaugenossenschaft (WBG) Huebergass in Bern (Seite 28). Titelbild: Im Park der Stiftung Pigna in Kloten können sich Menschen mit mehrfachen Behinderungen ungehindert und frei bewegen. Foto: Pigna/Anita Affentranger

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