Bedürfnisgerecht bauen

34 ARTISET 03 I 2023 Aktuell Den Schritt in die Politik wagen Nach einem beinahe tödlichen Verkehrsunfall im Jahr 1991 nutzt Nicole Tille die zweite Chance, die ihr das Leben geschenkt hat. Sie ist eine von 44 Parlamentarierinnen und Parlamentariern bei der ersten Behindertensession der Schweiz. Porträt einer engagierten Frau, die sich für die Inklusion von Menschen mit Behinderung einsetzt. Von Anne Vallelian Mit 21 Jahren reist Nicole Tille mit dem Rucksack durch Australien. Vier Monate nach ihrer Abreise ist sie mit zwei anderen jungen Erwachsenen in einem Kleinbus unterwegs. Da setzt eine Frontalkollision ihrem Abenteuer ein brutales Ende. Die Rettungskräfte treffen relativ rasch am Unfallort ein. Aber Nicole Tille muss wortwörtlich aus dem Fahrzeug geschnitten werden. Das ist heikel und zeitintensiv. «Ich habe keine Erinnerungen an den Unfall», erzählt sie. «Der gesamte Ablauf der Ereignisse wurde mit später geschildert.» Nicole Tille erleidet schwere Beinverletzungen und muss notoperiert werden. Die Diagnose ist erschütternd: Eine Amputation ist unausweichlich. «Das Pflegeteam hat mich aufgeweckt, um mein Einverständnis für den Eingriff an einem Bein einzuholen», erinnert sie sich. «Zuerst habe ich mich geweigert. Dann haben sie mich aufgerichtet, damit ich mir selbst ein Bild von der Situation machen konnte.» Angesichts derTatsachen gibt die junge Frau demÄrzteteam grünes Licht. Kampf, um wieder auf die Beine zu kommen In Anbetracht des jungen Alters der Patientin setzt das Behandlungsteam alles daran, das zweite Bein zu retten. Nach einem zweiwöchigen Spitalaufenthalt in Australien wird Nicole Tille in die Schweiz zurückgebracht, zunächst ins orthopädische Spital in Lausanne und später in die Reha. Insgesamt ist sie über fünf Monate hospitalisiert. «Mein Fall war alles andere als leicht. Neben meinen zahlreichen Knochenbrüchen war mein Körper vom Blech des Kleinbusses und den unzähligen Glassplittern, die beim Aufprall umhergeschleudert wurden, völlig zerschnitten.» Während des monatelangen Spitalaufenthalts führt Nicole Tille einen regelrechten Kampf, um wieder auf die Beine zu kommen, im wörtlichen und im übertragenen Sinn. «Was macht man mit fast 22 Jahren aus seinem Leben? In dieser Zeit gingen mir viele Fragen durch den Kopf.» Freiwilligenarbeit Ein Jahr nach dem Unfall nimmt die ausgebildete Kauffrau eine 50-Prozent-Stelle bei einer Versicherungsgesellschaft an. Kurz danach lernt sie ihren zukünftigen Ehemann kennen, und 1993 kommt die gemeinsame Tochter zur Welt. «Bei mir wurde eine Knie-Exartikulation durchgeführt, was nicht zu den häufigsten Amputationsarten gehört. Trotzdem hatte ich grosses Glück, überlebt zu haben. Das Leben hatte mir eine zweite Chance geschenkt, und diese wollte ich un­

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