Identität leben und gestalten | Magazin ARTISET | 3 2024

ARTISET 03 I 2024 13 Lüftungsreinigung ...alles hygienisch? 0848 852 856 info@rohrmax.ch Lüftung Kostenlose Kontrolle FunktionsRohre+Geräte Alle Marken Wann was reinigen? Übersicht auf rohrmax.ch Anzeige Führt die Marginalisierung durch die Gesellschaft aufseiten von Menschen mit Behinderung zu einer auf die Beeinträchtigung eingeschränkten Selbstsicht? Nein, denn Menschen besitzen die grossartige Fähigkeit, Geschichten zu erzählen, sich etwas vorzustellen, Zukunftspläne zu entwickeln und dabei gleichzeitig einen Bezug zu ihrer Realität herzustellen. Diese narrative Identität, die Art, sich selbst und anderen etwas zu erzählen, verleiht dem Leben Kohärenz und Sinn. Und dieser Sinn kann in jeder Situation gefunden werden. Es gibt auch Menschen, die sich für ein zurückgezogenes Leben entscheiden, um sich den Blicken der anderen zu entziehen, einem System zu entfliehen, in dem sie leiden könnten, und die sich so eine ganz andere Identität aufbauen. Auch hier kommt es darauf an, welche Ressourcen einer Person zur Verfügung stehen und welchen persönlichen und materiellen Einschränkungen sie unterliegt. Menschen erleben im Verlauf ihres Lebens kritische Ereignisse, Übergänge, Brüche. Welchen Einfluss hat dies auf die Identität? Sie müssen nicht zwingend einen Einfluss haben. Gewisse Übergänge, wie jener von der Schule ins Berufsleben, gehören zur biografischen Kontinuität. Manchmal kommt es aber auch zu unerwarteten Ereignissen, die einen Bruch im bisherigen Lebensweg markieren und das Gleichgewicht stören, so zum Beispiel eine Krankheit, ein Unfall, ein Todesfall oder eine Trennung. In der Folge muss die Identität auf eine neue Grundlage gestellt werden. Dazu greifen Personen im Umfeld, in den alltäglichen Dingen und in ihrem Gedächtnis auf Elemente zurück, welche die Kohärenz in ihrem Leben stärken. Mit dem Alter verändert sich der berufliche und soziale Status einer Person ebenso wie ihre körperlichen und kognitiven Fähigkeiten. Bedeutet das gleichzeitig auch einen Identitätsverlust? In Bezug auf den Übertritt in den Ruhestand zeigen Studien eher eine Form der Befreiung: Wieder mehr Zeit haben, auch wenn junge Rentnerinnen und Rentner einen vollen Terminkalender haben. Dass die Pensionierung zwangsläufig mit einem Identitätsverlust einhergeht, ist nicht belegt. Vor allem bei Männern, die ihr ganzes Leben auf die Arbeit ausgerichtet haben, kann dies aber durchaus der Fall sein. Bei den Frauen in der Schweiz trifft dies im Allgemeinen aber nicht zu. Zudem handelt es sich hier um ein Modell, das die jüngeren Generationen infrage stellen. Hat jemand seine ganze Zeit und Kraft vor allem in die Arbeit investiert, fehlen Ressourcen, die man in anderen sozialen Gruppen oder Tätigkeitsfeldern hätte finden können. Dies zeigt, dass man in Bezug auf die Identität vielleicht nicht alles auf eine Karte setzen sollte. Bei älteren Menschen, die in einem Pflegeheim leben, spricht man oft von einem Identitätsverlust aufgrund des dominierenden Kollektivs. Eine wesentliche Rolle spielt hier auch die veränderte Wohnsituation. Ein Heimeintritt, vor allem, wenn er nicht gewollt war, markiert einen Bruch in der Biografie und führt dazu, dass sich die Bewohnenden ihre Zukunft nicht mehr vorstellen können, ausser sie verfügen über Ressourcen aus der Vergangenheit oder in ihrem Umfeld. Eine Studie hat gezeigt, dass ganz besonders die Identität der betagten Menschen als Eltern offensichtlich sehr lange intakt bleibt und gerade auch im Alters- oder Pflegeheim fortbesteht. So bestätigen Neunzigjährige, dass sie für ihre Kinder leben. Man vergisst, dass all diese Menschen im Alters- und Pflegeheim nicht immer abhängig und verletzlich waren. Was ist zu tun? In Alters- und Pflegeheimen findet in der Regel ein Eintrittsgespräch statt, in dem es ganz besonders auch um die Lebensgeschichte der Bewohnenden geht. Die Frage ist, was man danach damit macht. Oft weiss man nicht, wer die Person ist, wo sie herkommt, wie ihre Vergangenheit aussieht. Der institutionelle Kontext fördert die Kontinuität des Lebenswegs nicht immer. Viele Beispiele zeigen, wie wichtig die Geschichte eines Menschen ist, um sein Verhalten zu verstehen und zu wissen, wie man ihn begleiten kann. * Dario Spini ist Sozialpsychologe und ordentlicher Professor an der Fakultät für Sozial- und Politikwissenschaften der Universität Lausanne. Zudem ist er Professor am interdisziplinären Forschungszentrum für Lebensverläufe und Verletzbarkeit LIVES. Seine Forschungsarbeiten befassen sich hauptsächlich mit Vulnerabilität sowie Prozessen und Ressourcen zur Bewältigung von Ereignissen und Übergängen im Verlauf des Lebens. Im Fokus

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