Soziale Unernehmen im Wandel | Magazin ARTISET | 9-2023

ARTISET 09 I 2023 9 unwahrscheinlich ist, da es ihnen aufgrund ihrer Behinderung kaum möglich ist, konstant und über längere Zeit hinweg die geforderte Leistung zu erbringen. «Die Teilzeiteinsätze bei der Post, während denen die betreffenden Personen weiterhin von der Institution fachlich unterstützt werden, ermöglichen Teilhabe, ohne dass Druck ausgeübt wird.» Dazu trage wesentlich bei, dass die Teilzeiteinsätze unbefristet seien. «Der Einsatz bei der Post wird damit nicht zu einer Art Praktikum, wo man drei Monate lang sein darf und dann wieder gehen muss, um jemand anderem Platz zu machen.» Die betreffenden Personen sollen unbefristet teilhaben können, auch wenn sie über längere Zeit keine Fortschritte in Richtung Arbeitsmarktfähigkeit machen. Schweizweite Umsetzung Aussergewöhnlich am Postprojekt ist insbesondere, dass es sich hier nicht um eine Kooperation zwischen einer Institution und einem Arbeitgeber auf lokaler oder regionaler Ebene handelt, sondern um ein schweizweites Projekt. «Mit der Post engagiert sich erstmals ein schweizweit tätiger Konzern für die Teilhabe von Menschen mit grossen Unterstützungsbedarf am allgemeinen Arbeitsmarkt.» Das sagt Annina Studer, Leiterin Arbeitswelt beim Branchenverband Insos. Sie bringt damit die Bedeutung zum Ausdruck, die das Projekt für soziale Unternehmen und die von ihnen begleiteten Menschen hat. Die Aufgabe von sozialen Unternehmen bestehe darin, auch Menschen mit stärkeren Beeinträchtigungen, die wahrscheinlich nie eine klassische Erwerbsarbeit ausüben können, eine sinnvolle Arbeit anzubieten. «In Zusammenarbeit mit der Post können sie diesen Menschen jetzt sogar die Teilhabe am allgemeinen Arbeitsmarkt ermöglichen.» Im Bewusstsein um die Bedeutung des Projekts haben die Verantwortlichen von PostNetz für die nationale Umsetzung eine Projektleitung eingesetzt. Zudem habe man, wie Florian Fertl festhält, der Projektleitung zwecks Beratung ein Soundingboard zur Seite gestellt. In diesem vertreten waren mit Annina Studer der Branchenverband Insos und mehrere soziale Unternehmen. Mit an Bord waren unter anderem auch kantonale Behörden sowie Vertretende der Invalidenversicherung. «Als Branchenverband haben wir hier die Stimme der Integrationsbetriebe schweizweit eingebracht», sagt Annina Studer. Eine Herausforderung bestand etwa darin, die unterschiedlichen Modelle der Zusammenarbeit zwischen den Institutionen und der Wirtschaft sowie die verschiedenen kantonalen Gesetzgebungen zu berücksichtigen respektive auf einen gemeinsamen Nenner zu bringen. Insos habe zudem, so Studer, zu spezifischen Fragen, wozu die Finanzierung gehörte, das eigene brancheninterne und -externe Netzwerk einbeziehen können. «Wir haben dabei auch bewusst die kritischen Stimmen eingeholt», wie sie betont. Als neu bezeichnet Annina Studer weiter, dass die Post den sozialen Unternehmen einen fixen Betrag pro geleistete Arbeitsstunde der Menschen mit Behinderung in der Postfiliale zahlt. «Die Post leistet damit eine Abgeltung für den Wegfall der produktiven Leistung, den die betreffende Person im sozialen Unternehmen erbringen würde.» Im Verlauf der Projektarbeiten kam es immer wieder zu kontroversen Diskussionen. Diese entzündeten sich gemäss Florian Fertl an Abgeltungsfragen und an der zusätzlichen Belastung durch Betreuungsaufgaben der bestehenden Mitarbeitenden. Um solchen Befürchtungen zu begegnen, habe man denn auch, so Fertl, die Anzahl der Mitarbeitenden bis Ende 2024 vorerst auf 50 beschränkt. Hoher sozialer Gewinn «Inklusion PostNetz» ist nicht gratis. Für die Post entsteht ein nicht zu unterschätzender Aufwand, zum einen durch die Abgeltungen der geleisteten Arbeitsstunden, zum anderen durch die Einarbeitung und die Begleitung der Menschen mit Behinderung an ihrem Arbeitsplatz. Ein Aufwand indes, den die Post gemäss Florian Fertl in Kauf nimmt: «Wir haben dafür das Commitment der Konzernleitung.» Der Aufwand werde, wie Fertl betont, durch den «sozialen Gewinn» mehr als wettgemacht. Dies zeigen bereits die Erfahrungen aus der Projektphase. «Die Mitarbeit von Menschen mit Behinderung fördert den Teamgeist», beobachtet er. Die Rücksichtnahme habe eine höhere gegenseitige Wertschätzung innerhalb des Teams zur Folge, wodurch sich die Zusammenarbeit verbessere. Einen Gewinn bedeutet das Projekt auch für die mitarbeitenden Menschen mit Behinderung. So habe etwa allen Mitarbeitenden der Band-Genossenschaft, die bei den Pilotprojekten mitgemacht haben, die Arbeit gut gefallen, bilanziert Adrian Kurzen. «Das Post-Gilet tragen zu dürfen, macht stolz.» Gleichzeitig bedeutete der Einsatz aber auch eine Herausforderung. Kurzen: «Einige brauchten die Erholungsphasen innerhalb der Institution, und andere kamen auch zum Schluss, dass die Einsätze für sie zu fordernd sind.» Annina Studer setzt auf die schweizweite Ausstrahlungskraft von «PostNetz Inklusion»: Sie bezeichnet das Projekt als die «konsequente Fortführung einer unternehmerischen Inklusionsstrategie, mit der eine weitere Inklusionslücke geschlossen wird». Und: «Ähnliche Kooperationen wie mit der Post sind auch mit anderen Firmen möglich.» Die sozialen Unternehmen und die Wirtschaft können sich damit, so Studer, im Sinne der UN-Behindertenrechtskonvention weiterentwickeln. «Ähnliche Kooperationen wie mit der Post sind auch mit anderen Firmen möglich.» Annina Studer, Leiterin Arbeitswelt vom Branchenverband Insos

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