Gesund und lustvoll essen Magazin ARTISET 1-2024

ARTISET 01/02 I 2024 27 Im Fokus Essstörungen haben vielschichtige Ursachen, die das Ergebnis einer Wechselwirkung von psychologischen, sozialen und biologischen Einflüssen sind. Ingrid Hürlimann*, eine spezialisierte Ernährungsberaterin, erläutert in ihrem Text, welche Unterstützung notwendig ist, um junge Menschen auf ihrem Weg zu einem gesunden Essverhalten zu begleiten. Dabei betont sie, dass die Gesellschaft als Ganzes eine Verantwortung trägt. Essstörungen sind ernsthafte psychische Krankheiten, die erhebliche Auswirkungen auf die körperliche und emotionale Gesundheit haben. Eine Magersucht (Anorexia nervosa), Ess-Brechsucht (Bulimia nervosa) oder Essattacken mit Kontrollverlust (Binge Eating) können sich generell in jedem Lebensalter manifestieren. Häufig treten sie jedoch erstmals in der Adoleszenz auf, also in der Phase zwischen Kindheit und Erwachsenenalter. In dieser Lebensphase, die von der Suche nach Identität und der Entwicklung von Autonomie geprägt ist, spielt sowohl die körperliche als auch die psychosoziale Entwicklung eine entscheidende Rolle. Dieser Lebensabschnitt zeichnet sich durch eine erhöhte Verletzbarkeit und Unsicherheit aus, was einen bedeutsamen Faktor darstellt, der das vermehrte Auftreten von Essstörungen in diesem Alter erklären kann. Familiäre Essverhaltensmuster Es gibt jedoch viele Faktoren, die zu einer Essstörung führen. Auf der persönlichen Ebene spielen etwa ein niedriges Selbstwertgefühl, Perfektionismus und die Nutzung von Essgewohnheiten als Bewältigungsmechanismus für emotionale Belastungen eine entscheidende Rolle. Hinzu kommen genetische und hormonelle Einflüsse. In meiner beruflichen Praxis beobachte ich auch wiederholt, dass familiäre Essverhaltensmuster einen erheblichen Einfluss auf die Entstehung von Essstörungen haben können. Zusätzlich tragen gesellschaftliche Faktoren, wie unrealistische Schönheitsideale und der Druck zur Selbstoptimierung, massgeblich dazu bei. Heutzutage wird dies durch den Konsum der verschiedenen Social-Media-Kanäle verstärkt, welche besonders von Jugendlichen intensiv genutzt werden. Um die Komplexität von Essstörungen zu veranschaulichen, gebe ich einen Einblick in die Geschichte von Lea (Name geändert): Die Gymnasiastin kam gemeinsam mit ihrer Mutter zu einem ersten Beratungstermin. Die einst sportliche und fröhliche junge Frau hatte im Verlauf eines halben Jahres einen massiven Wandel durchlebt. Ihr Essverhalten änderte sich drastisch, sie zog sich zurück, wurde depressiver und reagierte zuhause oft dünnhäutig. Nachdem eine Magersucht diagnostiziert wurde, begann sie eine psychotherapeutische Behandlung, und zudem wurde die Einbeziehung einer spezialisierten Ernährungsberaterin empfohlen. Ambivalente Haltung Wie bei vielen Jugendlichen zeigte sich auch bei Lea im Verlauf des ersten Gesprächs eine ambivalente Haltung. Zum einen brachte sie sehr klar zum Ausdruck, dass ihr Essverhalten auch für sie zu einem Problem geworden ist. Sie nannte etwa den Mangel an Energie, soziale Isolation von Freunden und Schlafprobleme. Zum anderen aber zeigte sie auch eine erhebliche Angst davor, gezwungen zu werden, zuzunehmen, und äusserte das Gefühl, dass ihr Bauch und ihre Beine nach wie vor zu dick seien. Um junge Menschen für weitere Beratungsgespräche zu öffnen, ist es wichtig, ihre Perspektive zu verstehen und eine vertrauensvolle Beziehung aufzubauen. Gleichzeitig gilt es, auch den Familien, die oft über einen längeren Zeitraum hinweg belastet sind, Unterstützung anzubieten. Um Emotionen und Gedanken greifbar zu machen, haben sich gemäss meiner Erfahrung Veranschaulichungen sehr bewährt. Lea konnte sich besonders mit dem folgenden

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