Fachkräfte gewinnen und behalten

ARTISET 04/05 I 2023 37 Aktuell Der Übertritt in die Berufswelt ist schwieriger geworden, besonders für Jugendliche mit psychischen Schwierigkeiten. «Sie brauchen viel mehr Unterstützung und eine viel engere Begleitung», fordert Psychiater Thomas Ihde-Scholl*. Er empfiehlt Ausbildenden unter anderem den sogenannten Ensa-Kurs «Erste Hilfe für psychische Gesundheit». Interview: Claudia Weiss «Mehr Kompetenz, weniger Angst» Herr Ihde-Scholl, die Zahl der 18- bis 24-Jährigen, die aufgrund eines psychischen Leidens eine Neurente erhalten, ist heute viermal so hoch wie vor 25 Jahren: Müssen wir uns Sorgen machen um unsere Jungen? Thomas Ihde-Scholl: Ich möchte nicht katastrophisieren. Aber ja, die psychische Belastung hat stark zugenommen. Ein Teil dieser Entwicklung ist evolutionsbedingt und rührt daher, dass mentale Funktionen viel wichtiger geworden sind: Heutige Stellenprofile verlangen vor allem Fähigkeiten wie gute Kommunikation und rasche Reizverarbeitung. Unser Hirn ist dieser extremen und einseitigen Belastung schlicht noch nicht gewachsen. Diese Belastung beginnt schon in der Schule… Ja, Klassenzimmer sind heute herausfordernder, besonders für Jugendliche, die psychisch belastet sind, beispielsweise an einer Autismus-Spektrum-Störung (ASS) leiden, an ADHS, einer Angststörung oder einer Sozialphobie: Schon die Schule funktioniert sehr kommunikativ, mit viel selbstständiger Arbeit in Kleingruppen und sehr lösungsorientiert. Die Wahlmöglichkeiten und die Menge an Reizen sind also viel grösser. Davon profitieren viele Jugendliche, für andere ist das sehr schwierig. Was benötigt diese vulnerable Gruppe? Grossbritannien hat die Inklusion vor 30 Jahren eingeführt und gemerkt: Jugendliche, die Mühe haben mit Reizüberflutung, kann man nicht in traditionelle Systeme inkludieren, dort scheitern sie. Reizüberflutung und die hohen Anforderungen einer Leistungsgesellschaft, die nicht sehr tolerant ist gegenüber nicht voll leistungsfähigen jungen Erwachsenen, fördern Ängste. Und zu merken, dass man nicht in ein System passt, erzeugt zusätzliche Stresssymptome. Früher hatten wir die klassische Trennung in Regel- und Sonderschule, heute sind zwar all diese Übergänge viel fliessender. Aber wir müssen noch bessere Wege finden. Das ist umso dringender vor dem Hintergrund von «CKK», Corona, Klimakrise und Krieg – alles Zusatzbelastungen für die Jungen? In den USA kommt vor «CKK» noch ein «T», für Trump, und alles zusammen ergibt dann eine extreme Polarisierung der Gesellschaft, eine immer stärkere Emotionalisierung. Unsere

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