Soziale Unernehmen im Wandel | Magazin ARTISET | 9-2023

ARTISET 09 I 2023 41 neben dem Eingang in ein Altersheim. Ein Passant empörte sich gar, sie sei absolut unethisch. «Nein, unethisch wäre, sich diese Frage nicht zu stellen», antwortete ihm Gyr ohne Zögern. Dementsprechend hat der Geschäftsführer in den vielen Gesprächen mit den 75 Bewohnerinnen und Bewohnern keine negative Reaktion gehört: «Einzig über belanglose oder etwas freche Äusserungen haben sich einige schon geärgert, auch religiöse oder lästerliche Sätze erregen Anstoss», sagt er. «Etliche Bewohnerinnen und Bewohner kümmern die Tafeln nicht gross, mit anderen sind sehr angeregte Gespräche entstanden.» Ausserdem, ergänzt er, ziele die Frage gar nicht in erster Linie auf die Bewohnenden des St. Johann ab, sondern vor allem auf Angehörige, Passantinnen und Passanten – angesprochen ist, wer sich gerade im Quartier aufhält. Diese, so hat Gyr verschiedentlich mitbekommen, finden die Kampagne gut, viele hätten aber nicht gross darüber gesprochen – vielleicht auch, weil sie sich zwar während der Arbeit ständig bewusst oder unbewusst mit der Frage auseinandersetzen, sich diese aber vielleicht noch nicht bewusst für ihr eigenes Leben gestellt haben. Zudem, erklärt André Gyr, erfüllt die Aktion einen sehr nützlichen, zusätzlichen Zweck: «Wir wollen nicht nur im Zusammenhang mit dem Lebensende in Erscheinung treten, sondern zeigen, dass wir täglich am Puls des Lebens arbeiten, und dadurch die Leute aus dem Quartier auf uns aufmerksam machen.» Letztlich zähle der Kontakt mit dem Quartier für das Pflegehotel, dessen Bewohnerinnen und Bewohner zu 90 Prozent aus der nahen Umgebung kommen, als wichtige Quartierarbeit und diene zugleich dem Kundengewinn: Gyrs Erfahrung nach wehren sich viele so lang gegen einen Eintritt ins Pflegeheim, bis er nicht mehr vermeidbar ist. Aktionen wie die Tafeln beim Eingang helfen nicht zuletzt, Hürden herabzusetzen, denn sie ebnen den Weg, um die Leute ins Gespräch zu holen – und vielleicht später ins Haus. Im Inneren wird gelacht und gelebt. Und auch gestorben Last but not least, erklärt André Gyr, seien Fragen wie diese nach den Lebenswünschen zentral in einer Institution, in der Palliative Care eine grosse Rolle spielt: «Wer ins Pflegehotel eintritt, befindet sich oft bereits in einer palliativen Phase, einige schon in der End-of-LifePhase – und Gedanken darüber, Fast ein Jahr lang hat André Gyr die Schiefertafeln beim Pflegehotel St. Johann betreut. Und sich von vielen Sätzen inspirieren lassen. Foto: cwe

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